Bregenzerwald

Weisen und Wiesen, Teil 1

Frau Kaufmanns Scharfes TrioNach dem Credo der regionalen Küche benennt Frau Kaufmann die Produzenten, deren Lebensmittel und Waren sie selbst verwendet. Nach dem Motto: „Gute Zutaten sind meine besten Quellen.“ Und Wasser labt ja bekanntlich. Die Weisheiten des Kochalltags wollen für jedermann und jedefrau wiederentdeckt werden. „Man braucht Geduld und reichlich Butter.“ Ich liebe solche vermeintlich einfachen Sätze, die von der Realität in Fels gespült sind. Bei einem Gläschen Williams Christ spekulieren wir über die tatsächliche Herkunft der Käsespätzle (siehe „Der geschriefelte Haderer“, Jazz Cooks Nr. 46).

Frohen Mutes zurück auf dem Autositz. Im Radio wird über subjektive Realitäten in Tageszeitungen und Fachblättern diskutiert. Ich versuche, nicht hinzuhören. Keine Chance heute …

Dieter Ilg im GesprächEs ist wahr, dass in unserer Medienwelt nur das oberflächlich einfach zu Verstehende beeindruckt und aufgenommen wird. Bedeutet doch der Weg zu Tiefgründigkeit und Differenziertheit oft, von einer bedrohlich wachsenden, „rohen“ Masse nicht wahrgenommen zu werden. Und was rohe Masse betrifft, akzeptiere ich persönlich nur ein Tatar von einem artgerecht aufgezogenen und geschlachteten Tier oder eben alternativ bestes Marzipan.

Nun: Objektivität, Subjektivität – alles ist relativ. Schubladendenken ersetzt den anstrengenden Versuch, sich mit komplexen Inhalten und der Mehrdeutigkeit auseinanderzusetzen. Auch Voreingenommenheit und eine damit einhergehende Prise Selbsthass gehören mit dem Schubkarren zum Kompost gefahren … Weder ein Nietzsche noch ein Adorno haben die Wahrheit oder Weisheit gepachtet. Das einzige Recht in dieser Hinsicht, das ich jedem der beiden zugestehe, ist, ihre eigene Weisheit und Wahrheit zu pachten als das, was sie ist: eine persönliche, eine eigene, eine einzige aus Milliarden. Ein Stern unter vielen.

Und der letzteren Vielzahl wird von den Gralshütern einer anderen Zunft, den Gastronomiekritikern, gerne vom Himmel geholt, geputzt und gewichst wie hernach vergeben und versprochen. Eieieieieiei … Wieder ein Grund, Alkoholiker zu werden? Ein vorgeschobener, kokett eingefädelt. Tee aus getrockneten Walnussblättern unterstützt die Leberkräfte. Ausgleich suchend.

Langsam schwindet die Helligkeit des Tages, die Weiße des Schnees leuchtet von Minute zu Minute stärker, bis die Eiskristalle vollends die herrschende Macht der beginnenden Nacht übernehmen. Ein wenig Licht ins Dunkel bringen!

Kulturverein Bahnhof AndelsbuchWieder auf die Piste, ab nach Andelsbuch. Eine Art Kunsthalle wie der Gasthof Hirschen ist der Kulturverein Bahnhof in der Station Andelsbuch der „aufgelassenen“ Wälderbahn. Betreiberin Margarete Broger gibt uns einen Überblick über ihre Aktivitäten und beschenkt mich mit reichlich Lesestoff und Hörmaterial aus der eigenen Edition. Ohne Sponsoren wie Subventionsgebern geht auch hier nichts. Wie auch, warum sollen Künste wie Musik und andere Dinge subventionslos existieren, wenn andererseits die zumeist industrielle Landwirtschaft mit Milliarden gepämpert wird und sogar die Lufthansa Millionen von EU-Subventionen einstreicht, weil sie auf ihren Flügen aus der EU landwirtschaftliche Produkte in Form von Onboard-Menüs exportiert?

Nun noch ein warmes Glas Wasser, bevor wir uns verabschieden. Zurück nach Bezau. Ein Paar Schwimmzüge im Nass des Hotelbeckens, E-Mails checken und damit beruflich „nach dem Rechten“ geschaut. Die Uhrzeit ruft zum Abendbrot. Ich werde im Speisesaal des Hotels Post (in der fünften Generation geleitet von Susanne Kaufmann) zu einem kleinen Abendmenü erwartet.

Kärntner Nudeln als Vorspeise, hernach ein Salätchen, Ziegenleber als Hauptspeise, Griesnockerl mit Beerenmus und Eis zum Dessert. „Käse schließt den Magen“, geleitet mich als Aufforderung zur Selbstbedienung am Käseeckchen; ich treibe es garantiert nicht bis zum „Käse verschließt den Magen“, mahnt ein neuer Gedanke.

Mir fällt die sperrig-lederne Weinkarte auf, die mit fairen Preisen und natürlich vorwiegend österreichischen Weinen auftrumpft.

Der 2007 Morillon „November Rain“ vom Weingut Zweytick aus dem österreichischen Ratsch an der Weinstraße (www.ewaldzweytick.at) stammt aus Südsteiermark. 25 Monate in Barrique aus französischer Eiche gelegen. Ein Angstblitz zündet durch meine Gedankenwelt: Bei all dem Raubbau auf dieser Erde wird es neben entwaldeten Regenwäldern irgendwann auch keine alte französische Eiche mehr geben. Und unsere mechanistische Zeit beweist, dass es in der Weinzubereitung auch der Holzschnipsel tut. Irgendwann reichen dann Sägespäne, und zu schlechter Letzt wird Barrique-Geschmack auch noch synthetisch hergestellt. Offenes Ende.

Fahren wir fort mit dem Eröffnungssatz auf der Homepage von Ewald Zweytick: „Schade, dass man Wein nicht streicheln kann.“ Ein hundertprozentiger Kurt Tucholsky.

GesprächspartnerGespräche am Abendtisch über das Thema „Abhängigkeiten“. Wahrlich kein Dialog über abgehängtes Fleisch. Salvador Dalí (1904–1989) meinte einst: „Wer genießen kann, trinkt keinen Wein mehr, sondern kostet Geheimnisse.“

Später an der Hotelbar treffe ich noch einen Tagesgast, der gerne einmal im Haubenlokal mit seinem „braven“ Hund (unterm Tisch) speisen möchte. Und verlauten lässt, schon alleine wegen der Weinkarte gerne in die Post zum Logieren zu kommen. Solche Geschäftsleute sind ein Plaisir.

Wir stoßen gemeinsam an mit einem Trinkspruch von Bruno Prats, einst geschäftsführender Gesellschafter von Château Cos d‘Estournel in Bordeaux: „Weißwein ist das, was man trinkt, bevor man Rotwein trinkt.“

„Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Thor sein Leben lang“, wird dem sächsischen Reformator Martin Luther, 1483 bis 1546, seinerseits antisemitischer Polterer und Vordenker Richard Wagners, in den Mund gelegt. Schauen wir uns einmal die zweite Strophe des Deutschlandlieds an und zählen eins und eins zusammen …

Im imaginären Radio streiten sich nun fleischlos und fleischunlos. Ohne Vorwarnung. Lieber gutes Pferdefleisch als Gammelfleisch. Deklariert ist beides nicht. Mehr als ein Fauxpas.

Nun, generell wie ungenerell bitte ich, mich von obsessiver Veganermission wie undifferenzierter Fleischfresserei zu verschonen. Ich kann beide Tendenzen nachvollziehen, mag sie allerdings nicht, insbesondere Letztere ist mir ein Dorn im Auge. Naja, ein Dorn von vielen. Und ohne Dorn kein Dornröschen. Den nächsten Heinz-Erhard-Pseudoanfall kann ich unterdrücken – und in der nächsten Folge geht’s unter anderem nach Dornbirn. Wohl bekomm’s!

KULTURVEREIN BAHNHOF
Kontakt: Margarete Broger
Brand 159A
A-6952 Hittisau
Fon: +43-664-2507789
info@bahnhof.cc
www.bahnhof.cc

Text
Dieter Ilg
Foto
Harald Gmeiner

Veröffentlicht am unter 98, Jazz cooks

Mr. M's Jazz Club Festival 2024