Mira Mode Orchestra

Streichmuster

Vom Trio bis zum Sextett ist in der „Jazz thing Next Generation“ alles schon mal da gewesen, selbst ein Tentett hatten wir schon. Doch Ede Merkel reicht das für die Ausführung seiner musikalischen Ideen nicht. In seinem Mira Mode Orchestra agieren gleich ein Dutzend Musiker. Ungewöhnlich ist nicht nur die Größe dieses mit Elektronik veredelten Klangkörpers, denn der Bandleader setzt in dem Ensemble neben Bläsern, Gitarre und Rhythmusgruppe besonders auf den üppigen Sound einer Handvoll Streicher.

Mira Mode Orchestra – Restless City (Cover)

Wo andere Musiker die musikalische Laufbahn mit so ziemlich jeder Station seit der frühen Jugend ausschmücken, selbstverständlich inklusive Angabe von Auftrittsorten und Auslandsaufenthalten, da gibt sich Ede Merkel auf seiner Website eher minimalistisch. Der Komponist, Saxofonist und Bandleader beschränkt sich auf die Eckdaten und erwähnt ein paar Bands, in denen er spielt und gespielt hat.

„Ja, ich bin 1983 in Halle/S. geboren, habe mit Ach und Krach Abitur gemacht, anschließend am JIB Saxofon studiert, immer Bands gehabt, mit namhaften und unbekannten Musikern gespielt und war auch viel im Ausland unterwegs. Aber ich mag das Namedropping nun mal nicht.“

Viel lieber spricht Merkel über das Mira Mode Orchestra und seine Musik. Er hat die Band vor vier Jahren formiert. Der erste Auftritt war das Diplomkonzert, damals wurde auch eine erste Demo- CD aufgenommen. Früher hat er mal im Callcenter gejobbt, um sich das Projekt zu finanzieren. „Sein zweitliebstes Kind“, sagt Gitarrist Ribbentrop über das Mira Mode Orchestra. Das liebste? Der kleine Sohn natürlich. Merkel unterrichtet an der Musikschule Brandenburg, er geht auch mal mit Keimzeit auf Tour. „Vor ein paar tausend Leuten zu spielen ist schon etwas anderes, als in einem Jazzclub aufzutreten.“

Mit Restless City (Double Moon/Challenge) präsentiert der junge Musiker nun das Debüt seines zwölfköpfigen Ensembles, dessen Musik er präzise und gar nicht wortkarg beschreibt.

„Wir spielen live orchestrierten Elektro mit Jazzbackground, ein bisschen psychedelisch gehalten. Lange Phrasen statt Songstruktur dominieren; es gibt viele repetitive Momente, wo wir auch mit Loops arbeiten. Alles ist sehr dem elektronischen Bereich zugewandt, aber sehr live und sehr jazzig.“

Merkel erwähnt Steve Reich, um sich zugleich von Minimal Music abzugrenzen, er zitiert das Brandt Brauer Frick Ensemble, nennt Jaga Jazzist, das Cinematic Orchestra oder 4Hero als Einflüsse.

Ede Merkel (Mira Mode Orchestra)

„Ich finde es interessant, mit Kontrasten zu experimentieren, mit Monotonie und Improvisation, lange Wiederholungen auszureizen und zugleich mit Veränderungen zu arbeiten.“

Für den permanenten Flow der Musik des Mira Mode Orchestras übernehmen die Streicher eine wichtige Position im Konzept des Komponisten.

„Mir gefällt es, wenn die fünf Streicher mit den drei Bläsern eine Wand bilden, wenn sie rhythmisch einheitlich spielen. Ganz fett ausgesetzt und in großen Voicings – so kann sich eine unglaubliche Energie aufbauen.“

Da ist natürlich Disziplin verlangt, wenn Violine, Viola und Cello zuweilen minutenlang auf ein und denselben Ton fixiert sind. In den vier Jahren des Mira Mode Orchestras hat deshalb bei den Streichern eine gewisse Fluktuation geherrscht, und der Bandleader ist sich dessen bewusst:

„Ich sehe es als meine Aufgabe, allen Musikern verständlich zu machen, worum es geht. Das ist bei zwölf Leuten gar nicht einfach, erst recht dann, wenn man Jazzer mit klassischen Musikern gemischt hat. Ich arbeite dran, dass sich auch der Streicher freut“, sagt Merkel mit nicht ganz ernster Miene.

Im Grunde hat seine Band sieben feste Mitglieder und die Streicher sind „dazuaddierte Musiker, allerdings ganz wichtige“. Mit dem Bassisten Felix Otto Jacobi und dem Trompeter Sebastian Piskorz hat Ede Merkel schon im Sandkasten gespielt und Piskorz ist auch das einzige Bandmitglied, das neben Merkel Kompositionen für das Album beigesteuert hat.

„Wir haben zwar durchaus unterschiedliche Wahrnehmungen, aber wir machen schon sehr lange Musik zusammen, die Hälfte meines Lebens. Da verschmilzt man schon ein wenig, was das Komponieren betrifft. Wir arrangieren auch schon mal wechselseitig unsere Stücke. Ist doch klar, dass ich Sebastian mit drei aufeinander folgenden Stücken ein Feature geben wollte.“

Der Keyboarder Eren Solak und Posaunist Nils Marquardt sind seit zehn Jahren mit dem Bandleader befreundet, man kennt sich seit den ersten Studientagen. Friedemann Pruß an den Drums und Joachim Ribbentrop, dessen rockige Gitarre Merkel sehr schätzt, „kenne ich noch nicht so lange. Joachim und Eren wiederum saßen auch zusammen im Sandkasten, allerdings nicht in Halle, sondern in Karlsruhe.“

Ein Feature hat Merkel auch zwei Gastmusikern gegeben. Er sieht das Mira Mode Orchestra nämlich nicht nur als ein Instrumentalensemble mit eigenem Programm, sondern arbeitet auch gern mit anderen Künstlern. Mit der Sängerin Clara Hill (Sonar Kollektiv, Jazzanova) ist die Band bereits vor zwei Jahren unterwegs gewesen; ihren Auftritt bei „Restless City“ mit einem eigenen Song hat Merkel arrangiert. Der andere Gastbeitrag stammt von dem Rapper Simple One, einem alten Freund aus Kindertagen, der auch die Lyrics für „Shade Of Ivory“ beisteuerte und sich hier als lasziver Crooner outet – mit einem Groove, der wie das komplette Album gut in Ede Merkels Lieblingsradio passt: die „Worldwide Show“ von Gilles Peterson.

Text
Uli Lemke

Veröffentlicht am unter 98, Heft, Next Generation

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