Was ist ein gutes Solo?

Christopher DellEs ist schwer, objektiv zu sagen, was ein gutes Solo ist. Klar. Vor allem, weil der Jazzmusiker so schön aus dem Bauch heraus spielt und im schimmligen Keller seinen pathologischen Neigungen nachgeht (denn der Blues kommt ja aus dem Schmerz der Baumwollfelder). Da, wie wir von Kant wissen, ästhetische Zufriedenheit, welche auf der Befriedigung von Neigungen beruht, niemals dem, was man sich darüber denkt, adäquat sein kann, wollen wir einfach einmal diese Neigungen untersuchen. Das ließe sich machen, indem man nach der Art und Weise fragt, wie eigentlich versucht wird, ein gutes Solo zu spielen.

Vor dem Hintergrund dieser Frage sind mir vier unterschiedliche Haupt-Kategorien in den Sinn gekommen (es gibt bestimmt noch andere).

1. Der permanente Aufschub des guten Solos: Hinter diesem Konzept steht die Logik der unendlichen Annäherung an das unerreichbar gute Solo, das auch so (nämlich unerreichbar) bleiben muss. Der eigentliche Einsatz besteht dann darin, immer wieder zu spielen, und zwar nicht ganz so gut, wie es eigentlich richtig gut wäre, und so das Solo in seiner Unzulänglichkeit zu halten. Die Strategie, dem Solo seines Begehrens treu zu bleiben, besteht darin, niemals an dieses Solo zu rühren. Man befindet sich damit in einer Logik der Treue, was einen deutlichen Zug des Zwangscharakters zeigt: Man ist dann immer Bürge des Anderen (Coltrane, Miles, Jimmy Heath etc.).

2. Die Bewegung der Hast, die sich der Ungläubigkeit verdankt, Ungläubigkeit als Kern einer Hysterie. Diese Art des Solospielens macht das unendliche Daddeln in einem Nichts wahr. Die Wirklichkeit, die in der Befriedigung der Neigung steckt, kann dann nur die Nichtbefriedigung sein. Wenn es zum Solospielen kommt, wird verzweifelt Note an Note gereiht: Für jede gespielte Note werden noch zwei drangehängt.

3. Die Bewegung der Einfachheit. Man verzichtet auf das Begehren der Hast, aber nur, um in einer noch perfideren Form das Nichtgelingen schönzurechnen. Jetzt darf keine Hast aufkommen, nur gespielte Naivität als gefakete Authentizität. Der Solist sagt, was das Ästhetische betrifft: Ich konnte nicht anders handeln. Tut mir leid, wenn meine a-moll-Akkorde Euch gefallen, aber der Manfred will es so und findet darin seine Befriedigung, also klärt das mit ihm. Der Solist versteckt sich hinter dem ewigen M. (Esoterik fürs gehobene Management ist das Resultat) – und das ewige Oslokonzert daddelt, als eigentliche Perversion, durch alle Frühstücke dieser Welt.

4. Die Bewegung der Wiederholung: immer das Gleiche spielen. Hilft gegen den Terror der Kreativität. Und da man ja immer mit anderen spielt, klingt’s ja auch immer anders. Das Solo muss dann nix besonderes sein. So ist das Solo Ursache seiner selbst. Das immerwiedergleiche Solo, eigentlich Ausdruck lässiger Coolness und hippen Understatements, endet als unmittelbar eigene Ursache und somit im moralischen Mystizismus oder in der Schwärmerei.

Gibt es einen Ausweg? Ich glaube kaum. Vielleicht doch: Der läge in der Verdoppelung der Form. Wir hätten dann als Form dasjenige, mit dem man übereinstimmen muss, und dieselbe Form verdoppelt als das, was uns erlaubt, über dieselbe Form zu reflektieren, sie zu wählen. Die Form als gutes Solo verdoppelt sich in eine singuläre Haltung des „Ich spiele es so“, die sich jedoch gerade in ihrer Singularität auf das Allgemeine hin öffnet. Das hieße aber, das Allgemeine beim solistischen Subjekt anzusiedeln: denn das Allgemeine als immer schon existierendes gutes Solo, das man auf den Jazz anwendet, führt nur schnurstracks in die Pathologie hinein. Form ist dann keine Zwecktätigkeit, die als Schablone unseres Solierens dient. Sie kann einzig, auf der reflektierenden Ebene, als der Form beigelegte Zweckmässigkeit, die Maxime unseres Spielens sein.

Die Tatsache, dass die zu spielenden Noten als Kraft der Form wiederkehren, spiegelt sich in der Achtung. Achtung bedeutet hier nicht, Jazzgesetze anzuwenden, zu beachten, sondern ein Gefühl dafür zu haben, wie Jazzgesetze gemacht werden – Achtung ist also ein Gefühl, das praktisch ist. Ein Gefühl, das dem amerikanischen Jazz der letzten 10 Jahre abhanden gekommen zu sein scheint, weshalb wir doch ganz froh sind, dass es, nach Branford Marsalis zu urteilen, gar keinen europäischen Jazz gibt. Die Freiheit ist schon längst da!

Veröffentlicht am unter Blog thing

jazzfuel