Bezichtige nicht meine Kunstform

Lorenz HargassnerEs gibt Frauengespräche, Männergespräche, Gespräche unter vier und mehr Augen, Fachgespräche, Geschäftsgepräche, Sommergespräche, Wintergespräche und viele sinnlose Gespräche. Und es gibt in der Musikhochschule, in der ich unterrichte (wahrscheinlich nicht nur dort), eine ganz besondere Form des Austauschs: Die Mensagespräche.

Das können ganz launige Runden unter Kommilitonen sein, wo das Studium, seine Sinnhaftigkeit oder Unsinnigkeit, Ziele und Träume oder – sehr beliebt – diverse Personalia besprochen werden, sei es in Bands oder das altbewährte „wer mit wem“. Und manchmal geht es dabei auch um Musik.

Vor kurzem wurde ich wieder einmal Zeuge eines solchen Zusammentreffens zweier Musiker unterschiedlicher Fachrichtung und konnte nicht anders, als mich einzuschalten. Denn es zeigte einmal mehr die meiner Meinung nach seltsame Sicht einer klassischen Pianistin zum Thema Jazz.

Erst begann es ganz harmlos, es ging um Klaviertechnik im allgemeinen und im speziellen, vor allem, wie viel Technik es zum Improvisieren brauche. Und dann stellte sich mehr und mehr heraus, dass die Studentin mit Prägung der so genannten „russischen Klavierschule“ der Meinung war, zum Improvisieren oder gar für den Jazz brauche man ja auch keine gute Spieltechnik, was für sie im Umkehrschluss bedeutete, dass Jazzpianisten eigentlich gescheiterte klassische Musiker seien.

„Wenn die Technik nicht für Klassik reicht, dann kann man ja immer noch Jazz spielen“, sagte sie. Und meinte das durchaus freundlich, eher verständnisvoll. „Ich habe auch einen Onkel, der lebt in New York und wollte immer klassischer Musiker sein, aber dann hat er herausgefunden, dass Jazz ja viel einfacher geht. Und dann hat er sogar mit Woody Allen gespielt!“ Sie würde das auch bei den Jazzpianisten in der Stadt sehen, die wären alle nicht so gut wie klassische Klavierspieler sein müssten.

Ich weiß ja, ich rege mich vielleicht manchmal etwas zu schnell auf. Aber wenn ich so etwas höre, kann ich leider nicht anders, als mich aufzuregen. Denn dass es zum Improvisieren einer ganzen Reihe anderer Kenntnisse, dass es zum Interagieren im Bandkontext komplexer Fähigkeiten bedarf, dass angefangen von Phrasierung und Artikulation bis hin zu Themen wie Groove und Timing ein Jazzmusiker heute wie gestern ein kompletter, auf seine Weise virtuoser Tonkünstler sein muss, wird von Kollegen anderer Stilistiken leider oft maßlos unterschätzt.

Selbst erlebt habe ich das oft genug, wann immer ich mit klassischen Musikern gespielt habe. Mit einem Streichquartett beispielsweise, dessen Mitglieder allesamt arrivierte Spieler mit Solokarrieren sind, arbeite ich immer wieder mit einer Band von mir zusammen. Sie wollen dabei unbedingt auch Improvisieren, weil sie das fasziniert und man ja auch sieht, welchen Spaß das macht. Und dann überrascht sind, wie schwierig das ist. Aber nicht nur dort, auch wenn es um Satzspiel und die üblichen rhythmischen Spielereien wie Synkopen geht, die bei uns Off-Beats heißen.

Umgekehrt hatte ich anfangs Schwierigkeiten, sobald es in deren Fahrwasser ging und Agogik gefragt war oder die Dynamik in einem Maße bis an Grenzen ging, die ich vorher nicht gekannt hatte. Aber das hat mich nicht überrascht. Als Europäer mit klassischer Prägung habe ich immer schon einen großen Respekt gehabt vor der Transparenz, die ein echtes Kammermusik-Ensemble erreicht, oder der emotionalen Kraft, die symphonische Musik oder natürlich die Oper haben kann. Genauso wie ich im übrigen einen erdigen Groove-Schlagzeuger wie Matt Chamberlain oder Ahmir “?uestlove“ Thompson verehre. Oder einen Singer/Songwriter wie John Mayer.

Jede Musikform hat ja ihre Stärken und ihre Schwächen und ist in ihrer Form „schwierig“. Auch echte, überlieferte Volksmusik ist nicht „leicht“ zu spielen und wirklich gut wird sie nur sein, wenn sie jemand macht, der mit seinem ganzen Herzen dabei ist und sich über Jahre hinweg intensiv damit beschäftigt.

Gotthold Ephraim Lessing hat in seinem Drama „Nathan der Weise“ eine wunderbare Geschichte eingebaut, die sogenannte „Ringparabel“ (siehe „http://de.wikipedia.org/wiki/Ringparabel“). Schon im 18. Jahrhundert war diesem Vordenker klar, dass gegenseitiger Respekt eine Grundvoraussetzung für das menschliche Zusammenleben sein muss.

Alle Musiker, die ich kenne und für gut halte sind offen für andere Stilistiken und bringen diesen auch ihre Wertschätzung entgegen. Auch von den Meistern des Jazz ist das ja bekannt. Duke Ellington meinte, es interessiere ihn nicht, ob Musik jetzt Jazz sei oder nicht. Für ihn gebe es nur zwei Sorten Musik: Gute und schlechte.

Das wäre ja ein gutes Schlusswort. Aber leider rege ich mich manchmal eben auf. Erst recht, wenn man etwas oder jemanden beleidigt, den ich liebe. Und darum kann ich auch nicht anders, als Menschen, die meinen, für Jazz müsse man nichts können, aufzufordern: Bezichtige nicht meine Kunstform!

Veröffentlicht am unter Blog thing

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