Mein Praktikum

Pit HuberAlso, ich habe drei Wochen lang zur Abwechslung mal was anderes gemacht: gearbeitet nämlich, und zwar bei einem richtigen Jazz-Label. Mein guter Freund Willi hatte mir ein Praktikum bei seinem angehenden Schwiegeronkel verschafft. „Zwei seiner Mädels in der Firma wollen zusammen Urlaub machen“, meinte Willi, „und im Sommer ist da sowieso nichts los. Bezahlen kann er allerdings nicht viel.“ Na egal, dachte ich, zur Not mache ich’s auch umsonst. Stellt euch mal vor: Ein richtiges Jazz-Label! Mit echten Jazzmusikern abhängen! Ganz viele Jazzkonzerte besuchen! Geile Jazz-CDs anhören! Ich freute mich natürlich tierisch.

In der ersten Woche fand ich’s ziemlich aufregend. Ich las zwar stundenlang nur Zeitungen – Aufgabe: Rezensionen raussuchen, kopieren, archivieren –, aber ich kriegte natürlich mit, was um mich herum so geschah: LKW-Lieferungen aus der Türkei, Datentransfers nach Japan, Vertragspoker mit Amerika. Große, weite Welt des Jazz! Und hin und wieder sprach ich sogar mit einem amerikanischen Jazzmusiker! Leider nur am Telefon. Den musste ich dann in der Leitung hängen lassen, um erst mal zu klären, ob der Chef mit ihm reden wollte oder nicht. Meistens nicht. Dann sagte ich „I am sorry, he is not available“ oder so was ähnliches. Ich kannte übrigens keinen der Musiker, die da anriefen, nicht mal dem Namen nach. Aber alle baten mit grimmigem Unterton um einen Rückruf und hinterließen ihre Nummer. Mein Chef warf die Zettel alle weg.

In der zweiten Woche wurde ich schon befördert: zum PR-Praktikanten. Da es keine aktuelle CD zu promoten gab (im Sommer soll das immer so sein), musste ich vor allem verspätete Bemusterungsanfragen bearbeiten. Radio Rumpelstilz hatte noch eine nächtliche Sendelücke zu füllen. Ein Anzeigenblatt im Ederbergland wollte mal zur Abwechslung „eine CD mit aktueller Klaviermusik“ vorstellen. Sogar ein Boulevard-Blatt meldete sich, hatte offenbar schon Sommerflaute: Für die kosmopolitische Leserin sollte es „etwas ganz Besonderes“ sein, allerdings auf jeden Fall „leicht verdaulich“. Na dann! Aber es gab auch umfangreichere Promo-Anfragen: 25 Frei-Discs für eine Tombola beim Open-Air-Festival in der Muskauer Heide; 200 Promos in die Arabischen Emirate zur Vorbereitung einer verspäteten Release-Kampagne für eine Frühjahrs-Neuheit; schließlich je 2 Muster des kompletten Backkatalogs an einen führenden Download-Anbieter bei Sankt Petersburg. Die Pakete jagten einander, die Paketkosten galoppierten. „Und diese CDs werden alle verschenkt?“, fragte ich ungläubig. „Ja, aber das kommt 20-fach wieder rein“, versicherte man mir.

Tatsächlich: Am 1. Juli begann bei einigen Vertrieben das neue Geschäftsjahr und sie fingen drei Tage vorher damit an, Bestellungen zu verschicken, um ihre Kommissions-Lager für den Herbst zu füllen. Umgehend wurde ich in die Export-Abteilung versetzt. Dummerweise war das Lager beim Label auch ziemlich leer, also verschickte ich meinerseits Bestellungen ans CD-Presswerk. LKWs kamen und gingen, Paletten wurden an- und weggefahren: Berge von Kartons, die aussahen, als enthielten sie Kernseife. Big, big business!

Hattet ihr eigentlich jemals mit Speditionen zu tun? Das ist ziemlich lustig! Einmal wurde eine Lieferung fürs Label drei Tage lang in der Stadt spazieren gefahren, denn die Palette stand ganz tief drin im Laderaum und bevor sie endlich dran war, kam immer der Feierabend dazwischen. Eine andere Fracht – nach Südeuropa – hing erst in irgendeinem Tunnel fest, wurde dann an einer falschen Adresse abgeladen (wo man eigentlich eine Lieferung Toilettenpapier erwartete) und dort übers Wochenende geplündert. Am Montag wurden die Reste der Fracht wieder abgeholt und endlich an die richtige Adresse weiterbefördert (wo man mit den Unmengen Toilettenpapier gar nichts hatte anfangen können). Ein anderes Mal ging einem Fahrer unterwegs die Hebebühne des LKWs kaputt und man konnte nicht abladen. Wie diese Geschichte zu Ende ging, weiß ich nicht: Mein Praktikum war vorher um.

Leider habe ich die ganze Zeit keinen einzigen Musiker getroffen und kein Konzert besucht. Nicht einmal eine CD konnte ich anhören, jedenfalls nicht ganz: Die Kollegen fühlten sich beim Telefonieren gestört und der Chef kann Jazz sowieso nicht leiden. Das nächste Mal mache ich ein Praktikum in einem Handy-Laden. Da geht’s bestimmt musikalischer zu.

Pit Huber

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