Das Ende des Jazz

Martin SchüllerAls ich vor mehr als zweieinhalb Jahren in meinem ersten Text an dieser Stelle die Frage stellte: »Wo steht der Jazz?«, fand sich die Antwort in Hilden, einer nicht sehr großen Stadt nahe Düsseldorf. Von daher schließt sich ein Kreis, wenn nun »Das Ende des Jazz« ebenfalls in der deutschen Provinz verortet werden muss, in diesem Falle in Koblenz.

Eine Lounge. Eine Lounge in einem alten, sehr alten Kellergewölbe. Wuchtige schwarze Ledersessel und Glastische kontrastieren aufs Stilvollste mit den rohen Backsteinsäulen und -bögen. Schwarz uniformiertes Bedienpersonal balanciert Cocktails auf einheitlichen Tabletts, beflissen, freundlich. Die Damen im Publikum sind in auffälliger Zahl sehr dünn, die Herren tragen gerne Pferdeschwanz als Ausweis ihrer Zugehörigkeit zur kreativen Klasse.

Man sitzt entspannt und drückt leicht die gespreizten Finger gegeneinander, so man nicht gerade an seinem Drink nippt.
In eine Location mit einer derart relaxt-stylishen Atmo gehört natürlich eine passende Musik.

Und in der Tat: Auf der kleinen Bühne spielt ein junges Trio. Der Schlagzeuger, sichtbar erst fünfzehn und hörbar überaus talentiert, sitzt auf einer dieser Weltmusik-Sperrholzkisten, die jetzt alle haben und deren Namen ich mir nicht merken kann. Er und der Bassist erstellen ein verhalten groovendes Fundament, das dem ebenfalls noch sehr jungen Gitarristen eine perfekte Basis für seine solistischen Eskapaden bietet.

Der Abend steht unter dem Motto: A Tribute to Attila Zoller.
Hehe. Das hättet ihr gern!

Der Abend steht unter dem Motto: A Tribute to Rory Gallagher.

Ich weiß nicht, inwieweit dieser Name hier als bekannt vorausgesetzt werden kann. Deshalb ganz kurz: Gallagher war ein in den 70ern und 80ern in Europa recht populärer irischer Rockgitarrist. Und Trinker, was ihn ?95 das Leben kostete. In den Staaten kennt ihn kaum jemand. Er hatte keine echten Hits, spielte aber eine legendär abgewetzte Stratocaster, die, ebenso wie seine karierten Hemden, sehr zu seinem Image als Working-Class-Hero beitrugen. Den Diskurs über seine instrumentalen, gesanglichen und kompositorischen Fähigkeiten lass ich hier mal weg – er war jedenfalls kein Schlechter.

Und nun sitzt hier dieses Jazzpublikum – und es war ein Jazzpublikum – und lauscht gelassen dem Vortrag der Musiker. Niemand bewegt sich, niemand ist bewegt, man goutiert. Die Lautstärke ist angenehm, es gibt sogar eine Entsprechung zum Jazz-Basssolo: Sobald der Gitarrist zur Akustikgitarre greift, beginnt das Publikum, sich zu unterhalten. (Siehe auch: mein gleichnamiger Artikel vom Januar ?07.)

Und am Ende sind alle zufrieden.

Tja, lieber Jazz. Nicht mal mehr hier wirst du gebraucht.

Mittlerweile ist die Zahl der toten Rockheroen groß genug, dass junge Musiker ihren Kanon aus deren Werken bilden können.
Dazu kommt die technische Entwicklung, die es – anders als früher – erlaubt, Rocksounds auch in geringer Lautstärke herzustellen. Wenn ich mir Rory Gallagher und seinen voll aufgerissenen Vox AC30 auf dieser Bühne vorstelle… Nun, ich persönlich wäre begeistert gewesen und hätte dem fliehenden Loungepublikum gelassen Bill Wymans große Worte »If it’s too loud, you‘re too old!« hinterhergerufen. Aber das hätte bei dem Krawall natürlich keiner hören können.

Auf meine Frage jedenfalls, warum ein so junger Bursche alte Musik toter Männer nachspiele, antwortete mir der Drummer: »Weil sie einfach die besten waren.« Es war natürlich die falsche Frage. Es war eine Rockfrage. Bei einem 15-jährigen Jazzer, das muss ich gestehen, wäre sie mir gar nicht erst eingefallen, nur weil er etwa Lester Young nachspielte.

Das nächste große Ding dürfte also »Lounge-Rock« heißen. Man richte sich darauf ein.

Zugegeben: »Das Ende des Jazz« ist als Titel was hoch gegriffen und der Genitiv ist auch nicht korrekt, aber Klappern gehört zum Handwerk, und ohnehin müsste es eigentlich heißen »Das Ende des Jazz? für mich«, denn mit meinem 19. Text möchte ich mich vom Blogthing verabschieden, in der Hoffnung, unterhalten zu haben.

Habe die Ehre, respektive: Hasta la vista, Baby. Und viel Spaß noch.

Euer Martin Schüller

Veröffentlicht am unter Blog thing

jazzfuel

3 Kommentare zu „Das Ende des Jazz“

  1. In Bonn spielt jeden Mittwoch (gegen die Hutrunde) Barcode Blue Note Hard Bop – und die Bude ist rammelvoll, mit zum Teil blutjungen Leuten. Und wenn Till Brönner 5x im Jahr in der Bundeskunsthalle zum „Talking Jazz“ bittet -egal ob mit Nana Mouskourri oder Maria Joaa- ist der Saal rammelvoll – auch ohne ein klassisches Jazzpublikum. Das Ende des Jazz? Nicht unbedingt – es kommt wohl auch darauf an, wie der Jazz präsentiert wird.

  2. Auch hier in München habe ich den natürlich streng subjektiven Eindruck, dass Jazz in den letzten 5 Jahren mehr Zuhörer hat als vorher. Und ich meine Zuhörer, keine Rumlungerer, die sich bei leisen Soli unterhalten. Aber klar Jazz ist tot, das hören wir seit ich denken kann. Blues ist auch tot! Klassik sowieso!

    Das einzig tote ist der Pop! Pop im Sinne von Madonna und Norah Jones und Anastacia. Da lebt nix außer den Produzentenkonten.

    Schade, daß Sie aufhören Herr Schüller. Schade auch, daß Ihnen zum Schluß kein interessanteres Thema eingefallen ist.

  3. alles firlefanz. hauptgrund für die seltsam anmutende präsentation der gallagherschen machwerke ist das gesamtgesellschaftliche phänomen des „wasch‘ mich, aber mach‘ mich nicht nass“, auch bekannt als „bier ohne alkohol“ oder „fummeln ohne anfassen“. gerade letzteres verweist auf das internet und somit auf die von schüller erwähnte möglichkeit, alles mögliche digital zu simulieren, und zwar auf zimmerlautstärke und in einer räumlichen ausdehnung, die es erlaubt, den gegenstand/das produkt/die entität in einem winzigen düsseldorfer studentenverschlag zu halten.
    also, bluesrock ohne schlechten geruch und ohne schweiss ist einfach kappes. die elegant gewandeten achten sehr darauf, nicht zu schwitzen, sie könnten sonst mit dem ebenfalls körperlich anstrengenden broterwerb des früheren proletariats, dem sogenannten arbeiten assoziiert werden. und der arme rory kann sich nicht wehren.
    vor allem aber ist alles nur „life style“ und nicht „life“. die leute sind hier und da, aber haben sie irgendetwas erlebt? leben ohne spüren. kultur ohne genuss oder ekel. da ist selbst dieter bohlen noch ein kulturträger, erregt er doch mit seinem akustischen schaffen zumindest starke aversionen.
    es gibt aber noch andere, jeder mag es selbst herausfinden, wo die echte party stattfindet. alle anderen bleiben im mehr oder weniger exklusiven ambiente und bei „f1cken ohne geruch“. viel spass noch.