Bananen statt Bier

Pit HuberWie man hört, ist im Süden der Republik jetzt wieder das Oktoberfest ausgebrochen. Im Mittelpunkt dieser Veranstaltung stehen offenbar gewaltige Biertrinkhallen, in denen Tausende von Menschen eng gepfercht an Holztischen festgebunden werden mit nichts als einem Maßkrug vor sich. Das entspricht zwar nicht den Vorschriften artgerechter Massen-Tierhaltung, genügt aber offenbar völlig den Bedürfnissen menschlicher Geselligkeit.
 
Auch der bayerische Ministerpräsident ist ein geselliger Mensch. Im Fernsehen meinte er, der Wies‘n-Besuch sei sein bisher schönster „politischer“ Termin im Amt, weshalb er ihn gleich ein halbes Dutzend Mal in zwei Wochen absolviere. Der Ministerpräsident sieht gerne „friedliche Menschen“, die einfach nur „ihren Spaß“ haben wollen. Am ersten Tag des friedlich-spaßigen Oktoberfests gab es daher nur 800 Verletzte und 60 polizeiliche Festnahmen. Die Lokalmedien nannten das Highlight des Jahres laut Internet entweder „brutal wie nie“ oder „gemütlich wie nie“. Im Bayerischen bedeutet das vermutlich dasselbe.
 
Ich kenne schönere Gelegenheiten, meinen geselligen Spaß zu haben. Zum Beispiel ist mir eine kunstvoll gerührte Snare-Drum auf der Bühne definitiv lieber als ein schlecht eingeschenkter Bierkrug auf dem Tisch. Allerdings verspüre ich auch bei Jazz-Veranstaltungen häufig eine gewisse Bedrängnis. Überfüllte Räume, eingekeilte Tische oder nummerierte Plätze münden bei mir leicht in Klaustrophobie. Ich brauche Freiheit um mich, wenn ich Jazz höre.
 
Seit Jahren bevorzuge ich bei Jazzkonzerten daher Randplätze. Fluchtbereit kauere ich mit einem Freund auf der Heizungsverkleidung oder lungere stehend im Eingangsbereich. Ein Zaungast auf dem Sprung. Zum Glück entwickelt sich Jazz ja selten in sinfonischen Dimensionen. Ein Set, ein Stück, ein Solo – das genügt oft schon, um die eigenen Batterien aufzuladen, Seelenvitamin zu tanken. Meine Aufmerksamkeitsspanne ist kurz, aber intensiv. Musikalische Zusammenhänge im Jazz sind es auch.
 
Jean-Paul Sartre hat den Jazz mal mit einer Banane verglichen. Um die zu essen, muss man keinen Tisch decken, kein Besteck benutzen, sich nicht mal hinsetzen. Die Banane ist reich an Vitaminen und Mineralstoffen, ein geballter Power-Schub in der praktischen, organisch abbaubaren Einweg-Fastfood-Verpackung. Bananenmusik kann man zwischen Tür und Angel verzehren, sprungbereit, unverwurzelt. Übrigens kann man im Stehen gut auch mal ein Bier trinken. Nur: Die glasigen Augen und der kleine Tremor, die kommen bei mir von der Musik. Von der Begeisterung, vom Vitaminschub.
 
Pit Huber

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