Tomasz Stanko New York Quartet

December Avenue

(ECM/Universal)

Tomasz Stanko New York Quartet – December Avenue (Cover)Gibt es dieses New York tatsächlich, fernab aller bekannten Klischees von Straßenschluchten, bunten Lichtern oder Polizeiabsperrungen, eine Stadt mit Künstlern, Intellektuellen, Nachdenklichen und Aufgeschlossenen? Tomasz Stanko nährt zumindest die Hoffnung darauf durch „December Avenue“, seine aktuelle Skizzensammlung über den Big Apple, sowie seine erfrischend unamerikanisch auftretende Band, in der mittlerweile Reuben Rodgers den Bass bedient. Mit 74 scheint der polnische Trompeter inzwischen tatsächlich angekommen zu sein. Das klang 2013 bei „Wislawa“ noch anders; wie ein Spagat zwischen alter und neuer Welt, zwischen slawischem Schwermut und urbanem Puls. Nach zehn Jahren Manhattan hat Stanko New York mit jeder Faser seines Körpers absorbiert. Sein Ton kratzt zwar wie eh und je. Doch die zwölf Kompositionen prägt nicht mehr dieser morbide, schwermütige Grundton. Der Trompeter weiß um die Qualitäten seiner Mitstreiter, des hinreißend strukturierenden Pianisten David Virelles und des vertrackt groovenden Drummers Gerald Cleaver, und lässt die Leine so locker wie möglich. Er gibt ihnen keine Songs, sondern allenfalls Melodien, Stimmungen vor, die sich langsam entwickeln, bewusst in riskante Bereiche geführt werden und dort eine ganz eigene Dynamik, eine unerwartete Dramaturgie erlangen. Eines der ausdrucksstärksten Jazzalben seit Langem. Eine Traumwelt?

Text
Reinhard Köchl
, Jazz thing 118

Veröffentlicht am unter Reviews

Deutscher Jazzpreis 2025
CLOSE
CLOSE