Unser Betriebskapital, das sind wir selbst

[23.4.2020]

Köln (Stadtplan)

Die Situation um die Verwendung der Corona-Soforthilfe ist vor allem für Künstler*innen verworren – auch in Nordrhein-Westfalen. Die Politik hier in NRW hat nun (vorerst vorläufig) entschieden, dass diejenigen, die vor dem 1. April die 9.000 Euro Soforthilfe beantragt haben, daraus auch ihren Lebensunterhalt bestreiten dürfen, diejenigen, die nach dem 1. April ihre Anträge gestellt haben, aber nicht. Die Gefahr, in NRW eine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ im Kulturbereich zu etablieren, ist also präsent. Dass Baden-Württemberg und Bayern vorgeprescht sind, löst den Knoten beileibe nicht. In Baden-Württemberg dürfen sich kreative Soloselbstständige bis zu 1.180 Euro als Lebensunterhalt pro Monat selbst auszahlen, in Bayern bekommen Künstler*innen eine Art befristetes Grundeinkommen in Höhe von monatlich 1.000 Euro.

Der Film- und Medienkomponist Matthias Hornschuh aus Köln ist als Mitglied des GEMA-Aufsichtsrates, als Vorstands- bzw. Präsidiumsmitglied im Landeskultur- und -musikrat NRW an „vorderster Front“ dabei, wenn es darum geht, diese Rechtsunsicherheit aufzulösen. Martin Laurentius hat Hornschuh gesprochen und versucht, den Knoten zu entwirren.

Martin Laurentius: Wie konnte es zu der doch recht undurchsichtigen Situation bezüglich der Verwendung der Mittel aus der Corona-Soforthilfe des Bundes kommen – in Nordrhein-Westfalen und in weiteren Bundesländern auch?
Matthias Hornschuh:
Als Kulturschaffende können wir in NRW glücklich sein, dass wir in einem der vier Bundesländer leben, die sich um uns kümmern. Das hat man in NRW vom ersten Tag des Lockdown so gehalten. Die fünf Millionen Euro Sondermittel vom Kulturministerium sind zum Beispiel eine Woche vor der Corona-Soforthilfe des Bundes gestartet. Das war natürlich viel zu wenig. Die Hilfsmittel aus der Corona-Soforthilfe des Bundes werden gleichfalls durch die Länder ausgeschüttet – und von Anfang an war klar, dass die Länder dafür auch die Systematiken erarbeiten. In Berlin oder Hamburg sind zum Beispiel die Landesbanken zuständig, in NRW die Bezirksregierungen. Die Bürokratie wurde entschlackt, um pragmatische Entscheidung treffen zu können – nach dem Motto: schnelle Hilfe geht vor Prüfung. An dieser Stelle hat NRW eine andere Weichenstellung gemacht und gesagt: Natürlich müssen Kreative ihren Lebensunterhalt aus der Soforthilfe bestreiten dürfen. Das war aber nicht vereinbar mit der Vorstellung des Bundes, der das Geld dafür nicht vorgesehen hat. Deshalb drängte man, dass NRW seine Entscheidung wieder einkassiert. Daraufhin kam es zum Streit zwischen Bund und Ländern, die sich untereinander aber auch nicht einig waren, weil sich schon abzeichnete, dass die Länder womöglich auf den Kosten für den Lebensunterhalt sitzen bleiben. Ende März ist man übereingekommen, die Bedingungen für die Verwendung des Bundeszuschusses bundesweit zu vereinheitlichen. Daher wird das Geld aus der Corona-Soforthilfe seit dem 1. April zwar weiter verteilt, aber nur noch für Betriebskosten und nicht für Lebenshaltungskosten. Aber schon Ende März hat die Politik in NRW klar Stellung bezogen: Wir kämpfen darum, dass Kreative ihre Lebenshaltungskosten über die Corona-Hilfe bestreiten können.

Läuft das nicht auf eine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ im Kulturbereich hinaus?
Das muss noch weiter differenziert werden, weil wir jetzt, da im Zuge des Lockdown die Hilfsmittel ausgerollt wurden, feststellen, dass es noch weitere Klassenunterschiede gibt. Es scheint sich herauszustellen, dass zum Beispiel Künstler*innen und Kreativen, die Mitglied in der Künstlersozialkasse (KSK) sind, tendenziell eher in einer Krise geholfen wird als denjenigen, die nicht KSK-Mitglieder sind – so wie momentan in Bayern oder auch in NRW, als das Kulturministerium seinen Fünf-Millionen-Topf gestartet hat. Gleichzeitig sehen wir, dass die Hilfsmittel vom Bund – also die 9.000 Euro – theoretisch zwar für viele von uns abrufbar, aber für wenige anwendbar sind. Die strukturelle Situation der Freiberufler*innen in Kultur und Medien wird nicht verstanden: Wenn verlangt wird, dass wir diese 9.000 Euro ausschließlich für unsere Betriebskosten hernehmen, dann ist das absurd, weil die meisten von uns mit so wenig wie möglich haushalten, um so gut wie keine Betriebskosten zu haben. Unser Betriebskapital, das sind wir selbst. Wir sind hochqualifiziert, wir haben uns ständig weitergebildet, wir sind unsere eigenen Unternehmen. Und jetzt dürfen wir uns nicht einmal unterhalten?

Text
Martin Laurentius
Foto
openstreetmap.org (CC BY-SA)

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