Filmdoku: Alexander von Schlippenbach

Alexander von SchlippenbachAlexander von SchlippenbachGleich am Anfang des Films hört man Vogelgezwitscher, dann sieht man Alexander von Schlippenbach auf dem Balkon seiner Wohnung in Berlin-Moabit sitzen, die Kamera schaut ihm geradezu über die Schulter. Irgend etwas leise vor sich hin brabbelnd steht er auf, später beobachtet man seine Hände erst beim Klavierspielen, dann, wie diese Hände das gerade Gespielte auf das Notenpapier zeichnen. Man hört das Kratzen des Bleistifts und das Knarzen der Holzdielen. Irgendwann viel später im Film beobachtet man von Schlippenbach dabei, wie er akribisch mit einem kleinen Messer seinen Bleistift anspitzt. Jetzt gibt es einen ersten, richtigen Schnitt, von Schlippenbach blättert durch ein Fotobuch, bleibt bei Han Bennink hängen („Ein Vulkan!“), dann sieht er sich selbst auf einem Foto: „Da ist er ja“, sagt er lakonisch.

Von Schlippenbach erzählt von der Free Music Produktion (FMP), die er vor mehr als 50 Jahren mitgegründet hat, davon, dass eigentlich eine Firma zu leiten überhaupt nicht sein Lebensplan war, sondern dass er vor allem eines wollte: Klavier spielen. Dann sieht man das von ihm angeführte Globe Unity Orchestra 1970, mit seiner so radikal freien Musik: laut, ungestüm, wild. Von Schlippenbach erinnert sich an den Skandal, den dieses Orchester bei den Berliner Jazztagen 1966 ausgelöst hatte. Er zeigt auf Peter Brötzmann und erwähnt, dass vor allem die Boulevardpresse diesen Saxofonisten damals als die Verkörperung des Leibhaftigen gehört haben wollte.

Der Regisseur Tilman Urbach nimmt sich Zeit, um seinen Protagonisten in Szene zu setzen. Er braucht kein reißerisches „Jazzfieber“ im Titel seines Dokumentarfilms über den mittlerweile 85 Jahre alten von Schlippenbach. Es reicht ein schlichtes „Tastenarbeiter – Alexander von Schlippenbach“, um zu verdeutlichen, worum es ihm geht: Um einen Pianisten, der sich vor rund 60 Jahren aufgemacht hat, die Welt von seinem Instrument aus zu verändern und mitzugestalten. Das Bilderstürmerische der 68er-Bewegung, als man hoffte, auch mit Kunst und Musik die Welt aus den Angeln zu heben, ist zwar Geschichte. Doch geblieben ist eine leise, fast verhaltene Radikalität im ästhetischen Ausdruck des Pianisten, Komponisten und Bandleaders von Schlippenbach. Auch das zeigt Urbachs Film.

Aki Takase & Alexander von SchlippenbachAki Takase & Alexander von SchlippenbachDer Film – und Urbach – fragt nach den Prägungen, ohne die der Pianist nicht die Musik spielen könnte, wie er sie seit jeher spielt. Er begleitet von Schlippenbach auf seinen Reisen: nach München als Pianist im Quartett mit dem Saxofonisten Henrik Walsdorff zum Beispiel, oder nach Köln, wo er seinen alten Freund, den Trompeter Manfred Schoof, trifft und nach Dresden, wo er sich auf ein Duo mit seinem gleichfalls alten Freund, dem Schlagzeuger Günter Baby Sommer einlässt. Urbach lässt von Schlippenbach viel erzählen. Von seinem schwierigen Verhältnis zum Vater etwa, von seinen Freunden und Weggefährten und auch darüber, wie sein Leben die Kunst wiederspiegelt und wie die Musik stets tief in seine Biografie eingedrungen ist.

Urbach zeigt ihn auch mit seiner Ehefrau Aki Takase – wie beispielsweise die beiden innig am Flügel sitzen und vierhändig Klavier spielen. Irgendwann sieht man Takase ihrem Mann leicht auf die Schulter tippen, damit er sich wieder gerade aufrichtet. Urbach spricht auch mit dem kürzlich gestorbenen Jost Gebers, der den Pianisten über Jahrzehnte mit FMP begleitet hatte. In dessen Schallarchiv hat Gebers auch Aufnahmen, die uns mit ihrem leichten Melos einen vielleicht unbekannten von Schlippenbach entdecken lassen. Am Schluss des Films sieht man ihn bei den Proben mit dem neuen Globe Unity Orchestra 2021, als er mit jüngeren Musikern ähnlich radikal zu Werke geht wie mit der Urbesetzung. Die 106 Minuten enden mit einem scharfen Schnitt der Musik und einem von Schlippenbach, der kurz aufschaut und leise „Danke, Danke“ murmelt. Die Premiere von „Tastenarbeiter – Alexander von Schlippenbach“ ist am 5. November im Rahmen des Jazzfests Berlin im Delphi Filmpalast. Am 9. November ist dann der deutsche Kinostart von Urbachs sehenswerter Filmdokumentation.

Weiterführende Links
„Tastenarbeiter – Alexander von Schlippenbach“

Text
Martin Laurentius

Veröffentlicht am unter News

jazzfuel