RIP: Milford Graves

Milford GravesMilford GravesSchon als Kind begann Milford Graves Schlagzeug zu spielen. Und schon damals war ihm das Schlagzeug nicht genug: Ein Freund zeigte ihm beispielsweise das Trommeln auf den Congas, ein anderer unterrichtete ihn auf den kubanischen Timbales, wieder ein anderer führte ihn in die polyrhythmische Welt Afrikas ein. Überhaupt ließ Graves als Jugendlicher im New Yorker Stadtteil Queens keine Gelegenheit ungenutzt, um nicht auf irgendeinem Gegenstand zu trommeln. Anfang der 1960er-Jahre ließ er mit seinem Milford Graves Latino Quintet (unter anderem mit dem gleichaltrigen Chick Corea am Piano) zum ersten Mal aufhorchen. Über den Saxofonisten Guiseppi Logan lernte Graves 1964 den Posaunisten Roswell Rudd und den Saxofonisten John Tchicai kennen, mit dem Bassisten Lewis Worrell gründeten sie daraufhin das New York Art Quartet, Im gleichen Jahr gehörte er auch zu der vom Trompeter Bill Dixon organisierten „October Revolution in Jazz“, wie bei seinen Instrumentalkollegen Sunny Murray und Andrew Cyrille auch war Graves Art und Weise, wie er das Schlagzeug aus seinem rhythmischen Korsett befreite, beispielhaft für den afroamerikanischen Free Jazz der 1960er-Jahre.

„Bis dato hatte ich Jazz immer als eine einschränkende Musik mit vielen Regeln empfunden. Deshalb kam es mir auch nie in den Sinn, Jazz zu spielen“, erzählte Graves dem Autor und Fotografen Arne Reimer, als der ihn für sein Buch „American Jazz Heroes“ traf. „Das Schlimmste, was einen passieren kann, ist, wenn es während des Musizierens keinen Austausch gibt. Dann kann man gleich damit aufhören. Jemand wie Anthony Braxton ist ein Geistesverwandter. Wenn wir zusammen spielen, dann geht es weder um seine noch um meine Musik, sondern um unsere Musik.“ Graves Forscherdrang führte dazu, dass er oftmals mit im Jazz unüblichen Eingriffen den Aufbau seines Drumset veränderte. So verzichtete er zum Beispiel irgendwann ganz auf die Snaredrum oder stimmte seine Tom-Toms erst tiefer als üblich, bevor er die Resonanzfelle ganz weg ließ, um die richtig tiefen Frequenzen hörbar zu machen.

Für Graves ist Rhythmik eine ganzheitliche Erfahrung, die im Herzschlag des Menschen begründet ist. „Seit Jahren interessiert es mich, welche heilende Wirkung Musik haben kann“, so Graves im Gespräch mit Reimer. „Unser Herzschlag ist immer unregelmäßig und jegliche Trommelübungen haben nichts mit unserem biologischen Rhythmus zu tun. Mein Ziel ist es, den natürlichen Rhythmus unseres Körpers zu spielen.“ Er ging dann so weit, dass er mit einem elektronischen Stethoskop seine eigenen Herztöne aufnahm: „Unabhängig davon, wie Skalen in Töne, Halbtöne oder Mikrotöne unterteilt werden, gibt es in der Musik die Oktave als universelle Konstante. Deren Erforschung führte mich dann zu dem, das ich als gemeinsamen Nenner betrachte: den menschlichen Herzschlag.“ 2017 veröffentlichte Graves mit dem italienischen Molekular-Biologen Carlo Ventura die wissenschaftlichen Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit als Aufsatz: „Heart Sound Melody and Stem Cell Reprogramming“. Vor diesem Hintergrund liest es sich fast zynisch, dass bei ihm 2018 kardiale Amyloidose, also eine Verdickung und Versteifung des Herzmuskels diagnostiziert worden war. Am 12. Februar ist Milford Graves an den Folgen dieser Krankheit im Alter von 79 Jahren gestorben.

Text Martin Laurentius

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Arne Reimer

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