Shuteen Erdenebaatar

Ein anderes Land

Die Welt des Jazz: Was ist das? Und wo liegt sie überhaupt? In Downtown New York oder in Ulaanbaatar? Die Frage mag rhetorischer Natur sein, bei der Pianistin und Komponistin Shuteen Erdenebaatar bekommt sie jedoch einen durchaus realen Hintergrund.

Shuteen Erdenebaatar (Foto: Georg Stirnweiß)

Die 25-Jährige lässt nämlich so ziemlich alle gängigen Jazzklischees unbekümmert ins Leere laufen. Denn wer hätte bis vor nicht allzu langer Zeit gedacht, dass solch herausragende Talente ausgerechnet in der mongolischen Hauptstadt schlummern? Shuteen Erdenebaatar erledigt scheinbar alles im Eiltempo. Mit 16 begann sie ihr Bachelorstudium in klassi­scher Komposition am Staatlichen Konservatorium von Ulaanbaatar, bevor sie durch ein Programm des Goethe-Instituts mit Jazz in Berührung kam.

„Damals eröffnete sich mir eine ganz neue Welt. Plötzlich hatte ich die Freiheit, das zu spielen, was ich in meinem Herzen hörte, nicht nur das, was in den Noten stand. Für mich fühlte sich Jazz so an, als wäre ich in ein anderes Land gezogen.“

Tatsächlich tat sie das dann auch 2018, um in München ihren Horizont mit einem Doppelmas­terstudium in Jazzklavier und Jazzkomposition an der Hochschule für Musik und Theater zu ­erweitern und zahlreiche Preise einzuheimsen. Erdenebaatars herausragende Fähigkeiten lassen sich an einem besonderen Phänomen festmachen. Als sie ankam, sprach sie kein Wort Deutsch. Inzwischen jedoch muss man im Gespräch mit ihr aufpassen, sich ähnlich gewandt auszudrücken wie sie.

Noch unfassbar schneller hat sich die Tochter des Direktors der Nationalen Mongo­lischen Oper und einer Fernsehregisseurin die universellste aller Sprachen angeeignet: die der Musik – und ihres wohl anspruchsvollsten Idioms, dem Jazz. Nachzuhören auf ihrem Erstling ­“Rising Sun“ (Motéma/Pias), den der Rising Star mit ehemaligen Kommilitonen wie dem Bassis­ten Nils Kugelmann, dem Schlagzeuger Valentin Renner und dem Saxofonisten Anton Mangold einspielte.

„Es hat mir sehr geholfen, dass ich alle gut kannte. Ich hatte schon beim Komponieren im Kopf, wer welchen Part spielt“,

erzählt Erdenebaatar. Menschliche Intelligenz eben, gepaart mit Intuition und Empathie. Genialer Mix!

Text
Reinhard Köchl
Foto
Georg Stirnweiß

Veröffentlicht am unter 150, Feature, Heft

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