Teufel und Beelzebub

Martin SchüllerNun ist der Jazz nicht der Musikstil mit einem echten Gitarristenproblem, aber ganz ungeschoren ist auch er nicht geblieben, woran natürlich Miles schuld ist.

Während der klassische Jazzgitarrist, der 14 verschiedene verminderte Sext- und/oder Septimakkorde in einem Takt unterbringt (nachdem er den Höhenregler auf Null gedreht hat), als bedrohte Art in den Reservaten des öffentlich geförderten Jazz überlebt, und der Akustikgitarrenjazz leicht überhört werden kann, gibt es in der Tradition der elektrifizierten Fusionsmusik (man erinnere sich an Tony Williams‘ Lifetime: Play it loud, play it very loud, play it very, very loud!) immer noch den ein oder anderen „mad axeman“, der, wenn man Glück hat, Vernon Reid ist, aber wehe, wenn nicht. Denn wer mit ihnen zu tun hat, kennt sie gut, die drei großen Lügen der Gitarristen:
1. Nein, ich spiele in dem Stück kein Solo.
2. Doch, ich hab schon leiser gemacht.
3. Ja, ich kann ohne Stimmgerät stimmen.

Zwei Nachrichten aus dem Kulturteil machen nun Hoffnung, dass sich daran etwas ändern könnte, vielleicht sogar grundlegend. Zum ersten eine Neuerung, die speziell auf Lüge Nummer 3 zielt und allen Mitmusikern und Zuhörern warme Schauer der Vorfreude den Rücken hinunterjagen wird: Die Firma Gibson bringt im Dezember die selbst stimmende Gitarre auf den Markt! Kein Witz! Stand in der Zeitung! Neben dem zweifelsfrei zu erwartenden musikalisch-ästhetischen Ertrag wird hier vor allem das immense Einsparpotential bei Probenzeiten zu Buche schlagen.

Die zweite Nachricht aber berichtet von einem neuen Trend, der das Phänomen Gitarrist auf Dauer womöglich grundlegend transformieren, vielleicht sogar beseitigen könnte, allerdings leider dabei den Teufel durch den Beelzebub ersetzen würde: Gitarrenkaraoke. Beim Karaoke, das wird sich herumgesprochen haben, singen Leute, die nicht singen können, Lieder, die der Zuhörer immer schon gehasst hat. Komischerweise macht das Spaß, zumindest wenn man nicht nüchtern ist. (Ob das Trinken zum Singen führt oder das Zuhören zum Trinken muss Gegenstand einer gesonderten Untersuchung bleiben.) Die Vorstellung jedoch, dass jemand mit einer Plastikgitarre so tut, als könne er Gitarre spielen, hat etwas Bedrohliches. Zu viele Menschen mit echten Gitarren tun das bereits. Andererseits: Eben! Soll’n sie doch! Der Computer biegt es grade und alles ist gut. Und warum bei Gitarren aufhören? Schlagzeug gibt es auch schon aus Plastik, demnächst dann Sax und Blech, und man muss nicht mehr tatenlos rumsitzen, wenn „Birth of the Cool“ läuft, sondern übernimmt einfach den Part von J.J. Johnson oder direkt das Solo von Miles. Hauptsache, es stört nicht beim Trinken.

Und Üben war gestern.

Veröffentlicht am unter Blog thing

Deutscher Jazzpreis 2024

1 Kommentar zu „Teufel und Beelzebub“

  1. Manfred Schröpfer

    Vergessen, eine vierte große Lüge vieler Stimmproblem-Gitarristen:
    „Ich hab ganz neue Saiten drauf.“
    Das Praktische: „… ganz alte …“ funktioniert auch! Toll, oder?