Ein Mantra

André NendzaWir haben in Deutschland eine gute Nachwuchsförderung in Sachen Jazz.

Das beginnt in so mancher gymnasialen Jazz-AG, die Musikschulen haben „populäre Musik“ längst fest im Programm, es gibt „Jugend jazzt“, diverse Landesjugendorchester und als Speerspitze das Bujazzo, man kann Jazz an zahlreichen Hochschulen studieren. In der Folge gibt es aus meiner Sicht eine junge, lebendige Jazzszene mit vielen interessanten Musikern.

Dass man dies derzeit unter dem Logo „Young German Jazz“ ausgiebig promotet, muss erst mal nicht falsch sein. Die Nachhaltigkeit in der Wirkung darf man allerdings getrost bezweifeln, denn der nächste Marketing Coup kommt garantiert.

Das Problem: Der deutsche Jazzmusiker ist für sehr, sehr lange Zeit Nachwuchs. Und das auf allen Ebenen. Hochschullehrer akzeptieren nur schwer, dass ihre ehemaligen Studenten auch großartige (und mitunter frischere) Musik abliefern und so zu Konkurrenten werden. Journalisten verschlafen gerne mal die Entwicklung eines Musikers zum „reiferen“ Künstler, zumal sie permanent dem Reiz des Neuen ausgesetzt sind. So muss man dann über einen 42jährigen Drummer, der seit Jahren auf der Szene ist, als „junges Talent“ lesen. Er hat sich wohl gut gehalten. Ich befürchte, selbst Nils Wogram (… auch schon Mitte 30) wird trotz dauerhafter Präsenz, unzähliger Preise und internationaler Tourneen in jeder dritten Kritik vom „gefeierten Nachwuchs-Star“ und „deutschen Wunderkind“ heimgesucht.

Als geübter Verschwörungstheoretiker vermute ich hinter diesem „Jugendwahn“ ein auch wirtschaftliches Prinzip. Nachwuchs bedeutet kleine Gagen oder zunehmend „auf die Tür spielen“, bedeutet mit Glück Rahmenprogramm und so gut wie nie Hauptbühne bei Festivals. Darbende Labels locken neue Bands in die Falle sinnloser Bandübernahmeverträge. Das Ganze ist auch ein wirtschaftlicher Verteilungskampf. Die goldenen Subventionsjahre sind vorbei, und das richtige Geld fließt nur noch bei großen „Events“. Hier natürlich, mit Ausnahme der üblichen Verdächtigen, unter Vermeidung deutscher Musiker.

Die Unterfütterung der Szene von unten hat keine Konjunktur. Als spießig verschriene Jazzvereine, die sich dringend modernisieren müssten, bluten personell und finanziell aus. Der eher kleiner werdende Kuchen muss von immer mehr Musikern verspeist werden. Dass da die Kuchenverteiler unter dem Logo „Nachwuchs“ ab und an ein paar Krümel herausrücken, gehört zum guten Ton unserer „Wir sind doch alle Freunde und sitzen im selben Boot“-Szene.

Und das ist Teil des Problems. Der Teil der 68er- und vor allem Post-68er-Generation, der sich auf dem Marsch durch die Institutionen auch im Jazzgewerbe Macht- und Einflusspositionen gesichert hat, ist leider zu nett. Ich kenne viele von ihnen und ich mag sie wirklich. Alles verdiente, alte Kämpfer, die Wichtiges für den deutschen Jazz bewirkt haben. Leider häufig entweder mutlos und risikoscheu von den alten Zeiten schwärmend. Oder, was auch verständlich ist, bevorzugt ihre Seilschaften bedienend. Auch irgendwie menschlich, was den eventuell nötigen Generationenkonflikt nicht leichter macht.

Gibt es Lösungen? Mein Vorschlag, als alter Fußballer, für meine Generation: Wir müssen aus der Defensive raus. Wir müssen bei jedem Veranstalter, Promoter und Journalisten zu unserer Musik stehen. Wir müssen begeistern. Und auch mal den Krümel ausschlagen und ein ganzes Stück fordern. Das German Jazz Meeting auf der Jazzahead 06 hat deutlich gezeigt, dass jede der Bands, die sich in einem 20-minütigen Showcase selbst kastrieren mussten (was, wider meine Erwartung, gut geklappt hat), wunderbar in das abendliche Festivalprogramm gepasst hätte. Und die dort präsentierten Gruppen waren nur ein kleiner Ausschnitt der aktuellen Szene.

Also, uns stehen die richtigen Bühnen zu. Wir gehören nach Moers, auf die Traumzeit und nach Berlin. Nicht als Nachwuchs, sondern um der Qualität der Musik willen. Das Totschlagargument „Das Publikum nimmt neue (oder – frei einsetzbar – deutsche/moderne…) Bands nicht an“ kann widerlegt werden. Ich glaube fest daran, dass auch ein Festivalpublikum Freude an neuer Musik haben kann. Man muss es nur richtig präsentieren und – hier schlägt auch in Zeiten „Benedetto“ schreiender Massen mein unerschütterlicher Glaube an die Aufklärung durch – vermitteln.

Handle ich selber immer so, wie ich es hier kampfschriftartig verkünde? Natürlich nicht! Aber ich versuche es mit meinem neuen Mantra (jeden Morgen, nach koffeinhaltigem Frühstück, bis zu 10-mal zu wiederholen):

Ich bin Ende 30 und damit im besten Jazzmusiker-Alter. Ich kann entspannt die Dinge, die ich gelernt, erfahren und gelebt habe, kreativ verarbeiten und bin trotzdem noch offen für Neues. Ich renne aber nicht jeder Mode hinterher. Meine Projekte klingen richtig gut. Meistens. Und ich bin beharrlich und werde mir aus dem Kuchen ein Stück herausschneiden.

Veröffentlicht am unter Blog thing

Deutscher Jazzpreis 2024

7 Kommentare zu „Ein Mantra“

  1. Lieber André Nendza,

    ich bin heute über Deinen Artikel gestolpert und möchte doch wenigstens ein paar kleine Randbemerkungen beisteuern.

    In weiten Teilen stimme ich Deiner Beurteilung zu, darüber habe ich mich auch in verschiedensten Kreisen schon bis zum Kopfqualmen auseinandergesetzt. Allerdings muss ich in einem wesentlichen Punkt widersprechen: Gerade das Magazin, in dessen Blog du schreibst, macht in Zusammenarbeit mit meinem Label Double Moon Records sehr viel gegen die beschriebene Misere, und das nicht als kurzfristig gedachter „Marketing-Gag“ sondern kontinuierlich seit vier Jahren! Die Reihe „Jazz thing Next Generation“ ist DIE Plattform für Nachwuchs in Deutschland, Österreich und der Schweiz geworden. Und diese Reihe war dann auch Auslöser für ähnliche Reihen anderer Labels – no bad feelings: es war durchaus Sinn der Serie, den Blick aller mal wieder auf die so hervorragende Szene hierzulande zu richten! Und es funktioniert: die Künstler der Reihe Jazz thing Next Generation waren in diesem Jahr auf zahlreichen Festivals mit z.T. 3 oder 4 Bands zu sehen: Traumzeit, Burghausen, Palatia, Jazz Baltica u.a., das Festival in Memmingen widmete sich sogar ausschliesslich Bands dieser Reihe! Mittlerweile gibt es Kontakte und erste Auftritte im benachbarten Ausland, die weitere – regelmäßige – Auslandspräsenz ist auf einem guten Weg schon ab 2008.

    Die Reihe hat gerade ihre Ausgabe Nummer 20 veröffenlicht, und es ist kein Ende abzusehen – warum auch? Sie ist für alle Beteiligten erfolgreich und: in ihrer Art weltweit einmalig!

    Also: es gibt so vieles, was wir verbessern können, aber es ist auch schon einiges erreicht – und das sollte man zumindest erwähnen!

  2. Lieber Volker,
    Danke für Deine Resonanz.
    Mein Text beginnt ja mit mit den Worten „Wir haben in Deutschland eine gute Nachwuchsförderung in Sachen Jazz“ und in diesem Kontext passiert tatsächlich Vieles. In diesem Zusammenhang sehe ich auch Eure „Next Generation“-Reihe mit großem Respekt und habe schon viele CDs der Reihe wirklich genossen. Das sich hier Eure Marketingkraft mit der des Jazzthing zusammenschließt ist eine wirklich gute Sache.
    Und das dieses Engagement zu Festivalresonanz führt, freut mich sehr.
    Nur: Die Problematik, auf die mein Text abhebt (und für die ich keine Lösung, ausser meines ironischen Mantras habe) bezieht sich eben auf die Tatsache, das die deutsche Szene, wenn sie dann nicht mehr unter dem Logo „Nachwuchs“ firmiert, deutliche Akzeptanzprobleme hat.
    Oder künstlich jung gehalten wird.
    Aktuelles Beispiel:
    Am vergangen Samstag spielte ich (39) mit Philipp van Endert (38) und Kurt Billker (54) auf einem kleinen, netten, feinen Festival in Franken.
    Überschrift in der Presse: Jazz-Die Jungen sind da
    Da können die übernächtigten Gesichtszüge eines späten Vaters einer sechs Wochen alten Tochter doch nur müde lächeln.
    Oder ich denke mir spaßhaft: Im Verhältnis zu Charlie Mariano ist ja jeder jung.
    Bestes
    André Nendza

  3. Lieber André,

    nochn kurzer „Abpraller“ (um in der Fußballsprache zu bleiben;-))

    Vielleicht ist es ja auch so, dass als „jung“ im Jazz jeder tituliert wird, der sich in den letzten 20 Jahren einen Namen gemacht hat – eventuell auch als Abgrenzung zu den ins Alter gekommenen (amerikanischen) „Heroes“ und als Hervorhebung, was europäischer Jazz an Eigenständigkeit entwickelt hat in dieser Zeit (natürlich früher auch schon, heute aber breiter wahr genommen).

    Richtig ist allerdings, dass eine dauerhafte Karriere als Jazzmusiker bestimmt nicht einfacher geworden ist, allerdings sind da die Ursachen so vielfältig, angefangen von der Wahrnehmung auf der politischen Ebene bis hinunter in die musikalische Bildung im Kinderalltag (im Kindergarten z.B.) – das sprengt sowohl den Rahmen des Blogs als auch mein Zeitbudget;-))
    Gruß ins Web
    Volker

  4. Wächst eine weitere Generation lamentierender deutscher Jazzmusiker heran? Da hat man gehofft, dass spätestens mit der jazzahead in Bremen vom vergangen Jahr das Wehklagen über die angeblich – oder tatsächlich – schlimmen Zustände der hiesigen Szene beendet worden sei, und muss sich nun eines anderen, schlechteren (?) belehren lassen. In einem stimme ich zu: Die Jazzrezeption im Feuilleton der regionalen Tagespresse ist grottig. Deshalb schlage ich vor, einen der Jazzpreise einmal für Jazzjournalismus auszuschreiben, um dann das Preisgeld einer karitativen Organisation zu spenden – wegen fehlender Professionalität und miserabler Qualität der Bewerbungen.

  5. Lieber Martin,
    Die schöne heile Jazzhead-Welt beim einjährigen Szeneausflug nach Bremen ist aus meiner Sicht, so wichtig die Messe ist, nicht oder besser nicht nur die Realität des deutschen Jazz.
    Es geht mir also nicht um ein Lamentieren, sondern vielmehr um den Austausch von Ideen zur Verbesserung der Lage.
    Dafür ist aber eine klare Beschreibung der Lage unerlässlich.
    Ich wollte hierfür den Blog, nach bisher eher spaßigen Texten, mal nutzten, um ein paar Gedanken etwas überspitzt-ironisch aufzuschreiben.
    Für mich selber ist das unbedingte Einstehen für meine Musik und der damit verbundene Energieaufwand eine Lösung, die ja auch ganz gute Resonanz erzeugt.
    Vor dem Hintergund dieses positiven Engagements ziehe ich mir den Vorwurf des Lamentierens nicht an.
    Dennoch finde ich, das es der Szene nicht an Leuchtürmen mangelt, sondern das die Grasswurzel Pflege nötig hat.
    Ich fände funktionierede Musikorte wie z.B die Düsseldorfer Schmiede in vielen, auch kleineren Städten, wichtiger, als immer weitere Jazzfestivals.
    Auch kleine Jazzreihen wie z.B. die Reihe meines Freundes und Kollegen Philipp van Endert in der Alten Post in Neuss sind für die Unterfütterung der Szene unerlässlich und brauchen Unterstützung.
    Denn: Die beste Werbung für unsere Musik scheint mir immer noch das Konzert zu sein.
    In diesem Sinne
    Bestes
    André

  6. Hallo André,

    ich gebe dir in vielem Recht, was du schreibst. Aber so, wie du es in deinem blog getan hast, so überspitze ich eben auch meine Antwort. Die Gefahr ist nämlich groß, dass eben die „Falschen“ in dein Horn stoßen. Denn so, wie vor 20, 30 Jahren oft darüber gemäkelt wurde, dass afroamerikanische Musiker in Europa den Europäern die Plätze bei den großen Festivals wegnehmen würden, so jammern heutzutage vor allem diejenigen herum, die nicht in einer der „Next Generation“-Reihen (oder wie sie auch immer heißen mögen) untergekommen sind.

    Also nichts für ungut, beste Grüße
    Laurie

  7. Ich schlage vor, dass im Booklet jeder Next-Generation cd ab sofort als Motto der Macher das Folgende abgedruckt wird:

    „Wir müssen aus der Defensive raus. Wir müssen bei jedem Veranstalter, Promoter und Journalisten zu unserer Musik stehen. Wir müssen begeistern. Und auch mal den Krümel ausschlagen und ein ganzes Stück fordern. Uns stehen die richtigen Bühnen zu. Wir gehören nach Moers, auf die Traumzeit und nach Berlin. Nicht als Nachwuchs, sondern um der Qualität der Musik willen.“ Gezeichnet: A. Nendza.

    Kurz: Ich weiß gar nicht, worüber ihr euch streitet.