Buch: Zeig mir den Platz an der Sonne

Zeig mir den Platz an der Sonne„Zeig mir den Platz an der Sonne“Irgendwann hat der Autor dieser Besprechung von „Zeig mir den Platz an der Sonne – Eine deutsche Chronik in Schlagern“ einen Selbstversuch gewagt. Während er dieses Buch über das musikalische Phänomen deutscher Schlager las, setzte er sich Kopfhörer auf und hörte das Album „Who Are We Sending This Time?“ (Unit Records/Membran) des Quartetts Field von Uli Kempendorff. Aber es ging nicht zusammen: Der harmonisch wie rhythmisch hochkomplexe, dennoch oftmals so nonchalant groovende Jazz dieses Vierers um den Berliner Saxofonisten ließ sich einfach nicht kombinieren mit dem doch so trivialen Kitsch deutscher Schlagermusik. Dabei ist mit Wolf Kampmann als Verfasser dieses Buches ein renommierter Musik- und Jazzjournalist am Start, der sogar das Sakrileg begeht, seine Chronik des Schlagers dem gestandenen, im Juni vergangenen Jahres gestorbenen Free-Jazz-Revoluzzer Peter Brötzmann zu widmen. Es half aber alles nichts: Entweder musste der Autor das Buch aus der Hand legen, um Kempendorffs Musik weiter hören zu können, oder die Kopfhörer abnehmen, um sich in die Welt des Schlagers zu vergraben.

Auch wenn der Untertitel anderes vorgibt: Kampmanns Buch über den Schlager muss man nicht chronologisch lesen. Einen viel größeren Spaß (und Wissensgewinn) hat man, wenn man sich durch die Kapitel treiben lässt: von „Blau ist die Nacht: Wie ich zum Schlager kam und der Schlager zu mir“ über „Babička: Spiegel einer multikulturellen Gesellschaft“ zurück zu „Marmor, Stein und Eisen bricht: Die neue deutsche Aufmüpfigkeit der sechziger Jahre“ wieder nach hinten zu „An einem Sonntag in Avignon: Der Schlager im Vergleich zum Chanson“ zum Beispiel. Denn Kampmann erzählt seine Geschichte(n) locker und unterhaltend, er will sich gar nicht erst auf wissenschaftliche Diskurse einlassen oder tiefernst das deutsche Wesen im Schlager herausarbeiten. „Der konsequente Schlagerhasser braucht den Schlager genauso wie der passionierte Schlagerfan“, schreibt er geradezu süffisant: „In einem kulturellen Umfeld, das sich seit mehr als einem Jahrhundert hauptsächlich über seine Gräben definiert, gibt uns der Schlager ein dualistisches Wohlgefühl der Abgrenzung. Als kategorische Antithese zur Hoch- wie auch zur Sub-, Gegen- und Alternativkultur wird er von seinen Gegnern mindestens ebenso mystifiziert wie von seinen Anhängern.“

In seinem kenntnisreich geschriebenen Buch setzt Kampmann Kontexte, die so auf den ersten Blick nicht offensichtlich erscheinen, und bringt den Schlager aus Deutschland und seine Protagonist/-innen immer wieder in Zusammenhänge, wie sie internationaler vielleicht nicht sein können. Die sogenannte „Gastarbeitergeneration“ wird ebenso thematisiert wie das Gesellschaftskritische eines Udo Jürgens oder das Wertkonservative eines Freddy Quinn. Und noch etwas streicht Kampmann, der 1962 im ostdeutschen Zwickau geboren wurde, hervor: die durchaus engen Verbindungen zwischen dem Schlager aus der DDR und der BRD. Die gab es nämlich sehr wohl – ökonomisch, aber auch inhaltlich und personell. „Zeig mir den Platz an der Sonne – Eine deutsche Chronik in Schlagern“ ist im Osburg Verlag erschienen und kostet 24 Euro.

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„Zeig mir den Platz an der Sonne – Eine deutsche Chronik in Schlagern“

Text
Martin Laurentius

Veröffentlicht am unter News

Bezau Beatz 2025