Christian Krischkowsky Quintet – TS Bremen

Next Generation, Folge 8: Diesmal gehts auf hohe See. So zumindest deutet es der Albumtitel an, den der Ulmer Schlagzeuger Christian Krischkowsky für sein CD-Debüt in der von Jazz thing und Double Moon gemeinsam vom Stapel gelassenen Veröffentlichungsreihe ausgewählt hat: „TS Bremen“ heißt die Einspielung im Gedenken an einen bedeutsamen Ozeandampfer aus den 60er-Jahren. Mit an Bord: fünf hervorragende Instrumentalisten aus Süddeutschland, eine talentierte blutjunge Sängerin und lauter traum(schiff)hafte Arrangements.

Christian Krischkowsky Quintet - TS BremenLeider muss hier mit einem Musikerwitz begonnen werden. Und der geht so: Wie lautet der letzte Satz, den ein Schlagzeuger sagt, bevor er aus der Band geschmissen wird? „Wir könnten ja mal eins von meinen Stücken proben!“ Christian Krischkowsky lacht. „Den habe ich auch schon mal gehört“, erklärt der 34-jährige Ulmer. Kein Wunder, schließlich ist der Mann selbst Schlagzeuger. Und noch dazu einer, der komponiert. Aber hier hören die Parallelen zum Eingangsscherz auch schon wieder auf. Denn bei den Stücken, die Krischkowsky schreibt, handelt es sich keineswegs um krude ausnotierte Dengeleien, wie man sie Drummern boshafterweise gerne nachsagt.

Krischkowskys Erfindungen nötigen Respekt ab. Er schöpft voll die Klangmöglichkeiten eines klassischen Quintetts aus. Trompete und Tenorsaxofon singen da zweistimmig wundersame Lieder, die Rhythmusgruppe nimmt die melodischen Fäden auf, spinnt sie weiter, gibt sie zurück. Alles fließt in diesen Arrangements, die die Quintettbesetzung gewissermaßen als Big Band en miniature begreifen. Durchweht wird das alles von einem modernen Geist, der an Kenny Wheeler oder Maria Schneider denken lässt. Oder an die polyphonen Groove-Erzeugnisse, mit denen Nils Wülker in den vergangenen Jahren reüssierte.

Wie ist der Schlagzeuger nur auf solche Musik gekommen? „Ich finde den Sound klasse, diese Überlagerungen zwischen den Stimmen“, sagt Christian Krischkowsky. Um etwas ratlos hinzuzufügen: „So genau weiß ich eigentlich gar nicht, wo ich das herhabe.“ Dave Holland oder David Binney nennt er als Inspirationsquellen sowie Erik Truffaz, die letzte Live-Platte von Wayne Shorter und natürlich alles von E.S.T. Hilft als Vergleich nicht wirklich weiter, genauso wenig wie das Bekenntnis des Ulmers zur Jugendliebe Yellowjackets.

Der Schlagzeuger ist offensichtlich ein Naturtalent, das aus ganz verschiedenen Einflüssen etwas Neues und Eigenständiges machen kann. Und das ohne jegliche akademische Vorbelastung: Er habe sich das alles selber beigebracht, erklärt Krischkowsky mit leicht verlegenem Unterton. Als er mit zwölf Jahren anfing Schlagzeug zu spielen, habe er gleichzeitig auch mit dem Komponieren begonnen; zunächst auf der Gitarre, später auf einem alten Klavier, das ihm ein Kumpel überlassen hatte. Mit Anfang 20 seien die Punk- und Pop-Vorlieben allmählich einer schleichenden Jazzfusion-Abhängigkeit gewichen.

Vor drei Jahren gelangte der Schlagzeuger dann zur Überzeugung, dass seine Stücke reif für die Umsetzung in einem Bandkontext seien. Mit dem Mannheimer Trompeter Thomas Siffling, dem Ulmer Saxofonisten Steffen Waltenberger sowie den beiden Münchnern Chris Lachotta (Bass) und Marc Schmolling (Klavier) hat Krischkowsky eine Truppe von Erfüllungsgehilfen zusammengetrommelt, die seine komplex eingängigen Stücke mit solistischem Feuereifer und sensibler kammermusikalischer Komplizenschaft zum Leben erwecken. Auf der Debüt-CD des Christian Krischkowsky Quintett ist an zwei Stellen zudem die 21-jährige Sängerin Sharon Smith zu hören. Ihr mürber Alt fügt sich gut in die Gesamtdramaturgie des Werks ein.

Man könnte bei „TS Bremen“ (Double Moon/ sunny moon) beinahe von einem Konzeptalbum sprechen. Zumindest legen das die Stücktitel nahe, die „Greetings From Spitzbergen“, „Stepping Into Blue“ oder „Nordwind“ heißen und in der Kombination mit dem CD-Titel Bilder einer großen Schiffsreise evozieren. Derart genordet, könnte man jedenfalls den im Opener urplötzlich hereinbrechenden Latin-Teil als Verweis auf eine angenehm melancholische Karibik-Kreuzfahrt verstehen. Oder sich bei dem mit postmodernen Dixie-Kollektiv-Improvisationen versehenen „Dont Forget Mr. Sergej“ einen russischen Immigranten auf einem Mississippi-Dampfer vorstellen. „Das kann man gerne machen“, sagt Krischkowsky, „jeder Zuhörer soll sich bei der Musik selbst eine Geschichte ausdenken.“ Unwahrscheinlich allerdings, dass sie genauso rührend ist wie die wahre Begebenheit, die hinter dem Titelstück steckt.

Auf dem zwischen Norddeutschland und New York pendelnden Passagierschiff „TS Bremen“ kamen Christian Krischkowskys Eltern zusammen. Sie arbeitete dort als Friseuse, er hatte sich als Tellerwäscher anheuern lassen, und das nur, um der Frau seines Lebens endlich seine Liebe gestehen zu können. Keine Panik auf der Titanic: „Ich wurde nicht an Bord gezeugt, ich habe extra gefragt“, beschwichtigt der Schlagzeuger, der in München geboren wurde und seit 1998 in Ulm wohnt, mit Lebensgefährtin und zwei gemeinsamen Kindern.

Zum Schluss jetzt aber mal Butter bei die Fische: Wie haben die Mitmusiker reagiert, als der Drummer tatsächlich mal eins von seinen Stücken proben wollte? „Aus der Band rausschmeißen konnten sie mich jedenfalls nicht“, erklärt Christian Krischkowsky lachend: „Schließlich habe ich sie selber gegründet. Aber offen gestanden gab es schon ein paar schräge Blicke wegen meiner unkonventionellen Notationsweisen. Und ein paar Harmonien haben meine Leute tatsächlich noch niemals gespielt. Die werden sich möglicherweise irgendwann mal als Krisch-Akkord durchsetzen.“ Das ist doch mal ein guter Schlagzeugerwitz.

Veröffentlicht am unter Next Generation

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