Gestorben: Herbert Joos

Herbert JoosHerbert JoosVor gut 50 Jahren war die Welt im Umbruch: gesellschaftlich und politisch, aber auch ästhetisch in der Kunst und Kultur. Die Studierenden gingen auf die Barrikaden, um unter dem Schlachtruf „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ die Verkrustungen in den (westlichen) Nachkriegsgesellschaften zu sprengen – hüben in Europa ebenso wie drüben in den USA. Auch vor dem Jazz jener Zeit machte diese „Revolution“ nicht halt. Ausgehend vom „Free Jazz“ eines Ornette Coleman Anfang der 1960er-Jahre warf man die Traditionen dieser ursprünglich swingenden Musik aus dem Süden der USA über Bord, experimentierte unter dem Schlagwort „New Thing“ mit neuen Ausdrucksmöglichkeiten und Spieltechniken und rief die „Oktoberrevolution im Jazz“ aus.

Die Freiheiten, die sich viele afroamerikanischen Avantgardisten erspielten, fanden ihren Widerhall auch in Europa. Man nutzte die Gelegenheit, um radikal auch mit den „schwarzen“ Wurzeln der Improvisationsmusik Jazz zu brechen und eine dezidiert europäische Klangsprache zu entwickeln. Von einer „Kaputtspielphase“ sprach im Rückblick der Wuppertaler Bassist Peter Kowald – um sich, nach einem Moment der Konsolidierung, eben diesen „schwarzen“ Wurzeln wieder hinzuwenden.

In Karlsruhe blieb man damals gelassen. Eine kleine Gruppe von Jazzmusikern aus dieser Stadt im Südwesten Deutschlands erkannte zwar das enorme Potenzial der neuen Freiheit durch das „New Thing“, suchte aber nach Wegen und Möglichkeiten, diese Freiheit mit dem musikkulturellen Terroir Europas in Verbindung zu bringen. Modern Jazz Quintet Karlsruhe nannte sich eine Band, mitten drin fand sich ein Trompeter und Flügelhornist, der aufhorchen ließ: Herbert Joos, 1940 geboren. Dort, wo andere Musiker jeden Moment zur Kontemplation in brachial-laute Klanggewitter zu verdichten versuchten, setzte er lange Pausen – um die melodische Sinnlichkeit seines Tons und die expressive Farbigkeit seiner raffiniert geknüpften Tongirlanden zu intensivieren. Sein Instrument blies er mit viel Luft, seine improvisierten Linien hatten stets etwas eloquentes und folgten eher dem emotionalen Duktus eines schwarzen Bluessängers als der intellektuellen Durchführung eines europäischen Komponisten.

Auch wenn Joos mit seinem im Mehrspurverfahren aufgenommenen Soloalbum „The Philosophy Of The Flügelhorn“ 1973 international auf sich aufmerksam machte, so sollte seine „große“ Zeit als stilbildender Instrumentalist erst noch kommen: überraschender Weise als Sideman und Orchestermusiker. Im Vienna Art Orchestra (VAO) fand der überzeugte Europäer Joos ab 1979 mit dem Schweizer VAO-Gründer und Komponisten Matthias Rüegg, mit dem Österreicher Wolfgang Puschnig oder der Amerikanerin Lauren Newton Gleichgesinnte, deren Radikalität sich auch und gerade im Ausgleich von ästhetischen Gegensätzen zeigte. In diesem überaus kreativen Umfeld entwickelte sich Joos zu dem Balladenspieler, der sich gleichermaßen herzergreifend emotional wie tiefschürfend intellektuell zur Kernaussage der jeweiligen Komposition durchgrub. Diese Qualitäten behielt Joos nach seinem Ausscheiden aus diesem Orchester bei, dann in der Regel in kammermusikalischen Besetzungen.

2017 wurde Joos, dieser gelernte Plakatmaler, der zeitlebens sein Geld auch als Grafiker verdiente, mit dem „Ehrenpreis des Jazzpreises Baden-Württemberg“ ausgezeichnet. Nach den ihn feiernden und ehrenden Reden sprach er gewohnt lakonisch-knapp ins Mikrofon: „Alles wahr, vielen Dank“ – und stellte sich mit seinen Instrumenten ins eigens zusammengestellte, 16-köpfige Orchester. 2018 wurde der Saxofonist Bernd Konrad gleichfalls mit diesem Preis ausgezeichnet; und Joos ließ es sich nicht nehmen, inmitten der Band auf der Bühne seinem alten Freund und langjährigen Weggefährten zu feiern. Es sollte das letzte Mal sein, dass der Trompeter und Flügelhornist im Theaterhaus in seiner zweiten Heimatstadt Stuttgart zu hören war. Am Morgen des 7. Dezembers ist Herbert Joos nach einer OP in Baden-Baden im Alter von 79 Jahren gestorben.

Text
Martin Laurentius
Foto
Lutz Voigtländer

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