Editorial #95

Liebe Leserinnen und Leser,

ich finde: Al Jarreau hat nun wirklich mal eine Titelgeschichte verdient!

Kaum ein Jazz- und Soul-Sänger ist schon so lange dabei, hat so viele künstlerische wie kommerzielle Höhen und Tiefen durchlebt und füllt trotzdem heute noch die Konzertsäle und Festivalhallen wie der inzwischen 72-jährige Amerikaner. Und er bringt bald eine neue Platte mit riesigem Orchester heraus und geht auf ausgedehnte Europa-Tournee, die wir als Medienpartner auch noch stolz begleiten. Braucht es noch mehr gute Gründe?

Al JarreauTrotzdem war Al, so leid es mir tut, eine Notlösung.

Geplant war, eine deutlich jüngere, vielleicht auch hübschere, sehr erfolgreiche amerikanische Jazz-Sängerin und -Pianistin aufs Cover zu nehmen – exklusiv, vor allen anderen und ganz alleine. Dafür scheuten wir – genauso wenig wie ihre Plattenfirma – weder Kosten noch Mühen, ließen einen erfahrenen, angesehenen Fotografen weit anreisen, um sie aufwändig in Szene zu setzen, abzulichten und ihr ob ihrer so berüchtigten wie unberechtigten Selbstzweifel sanft zuzureden.

So weit, so gut – die Fotos wurden nach Bekunden aller wunderschön, stimmungsvoll und attraktiv und hätten ein wahrlich famoses Cover abgegeben. Und die ausführliche Photoshop-Retusche, zuerst an drei langen Abenden vom Fotografen vorgenommen, dann noch vom darauf spezialisierten Studio, glättete auch noch die letzten Fältchen, kämmte die widerspenstigsten Härchen, optimierte die Farben, schärfte den Blick, perfektionierte das Image.

Es half alles nichts. Sie wollte nicht. Sie mochte die Bilder nicht. Sie mochte sich nicht. „“Das Management gibt die Bilder nicht frei““, heißt es in solchen Fällen lapidar, und die Promoterin der Plattenfirma wie der Herausgeber dieser Zeitschrift waren so fassungs- wie machtlos.

Was lernen wir daraus? Jazz is for real. Jazz is here and now. And it‘s been here and there. So wie bei Al Jarreau, dem man sein bewegtes, aufregendes, tolles Leben auch ansehen darf, zumindest ein Bisschen (so ganz ohne Retusche hätten wir bei ihm leider auch nicht gedurft). Hätten wir doch mal von vorneherein auf Al gesetzt!

Viel Spaß mit der neuen Ausgabe von Jazz thing & Blue Rhythm wünscht
Axel Stinshoff, Herausgeber

Veröffentlicht am unter 95, Heft

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