Christian Zehnder & Gregor Hilbe

Torkelnde Symmetrien

Eine ganze CD, die einem geometrischen Körper gewidmet ist? Nun, das Oloid gehört nicht der profanen Sphäre von Kugel, Kegel oder Zylinder an.

Christian Zehnder & Gregor Hilbe

In dem vom Anthroposophen Paul Schatz (1898–1979) entdeckten „überstülpten Würfel“ fanden der Schweizer Stimmenkünstler Christian Zehnder und der Schlagwerker Gregor Hilbe Mathematik und Musik, Archaisches und Futuristisches vereint. Inspiriert hat er sie zu komplex groovenden, sehr imaginativen Klängen, die genauso abstrakt wie beschwörend sind.

„Das Oloid ist der einzige Körper, der sich über seine gesamte Fläche abrollen kann. Dadurch entsteht so ein Torkeleffekt, eine Rhythmik, die auf einer relativ komplexen mathematischen Formel aufgebaut ist. Und in der Musik lässt man sich ja immer gerne von abstrakten Dingen inspirieren, von einer Metaebene“, erklärt Zehnder.

In den faszinierenden Improvisationsgebilden auf der Scheibe Oloid (Traumton/Indigo) spielt jedoch noch eine andere Komponente eine wichtige Rolle, die nicht weniger außergewöhnlich wäre: Das Duo ließ sich eigens große Orgelpfeifen fertigen:

„Wir bringen das Königsinstrument der abendländischen Musikgeschichte in die ursprüngliche Archaik, in den Urwald zurück, denn wir gehen völlig aus dem temperierten System heraus“, so Zehnder, und Hilbe ergänzt: „Mich hat vor allem der Tranceaspekt interessiert, in den man durch das Hyperventilieren hineinkommt. Wenn man drei, vier Stücke gespielt hat auf diesen heftigen Apparaten, auf denen man erst mal eine zwei Meter lange Luftsäule aufbauen muss, kommt man in einen ganz anderen Geisteszustand hinein.“

Mit dieser Philosophie lösen sich die beiden in Basel ansässigen Musiker komplett aus der alpinen Verortung heraus, kreieren eine Weltmusik 2.0. „Ich fühle mich nun keiner Ideologie, keiner Tradition mehr verpflichtet“, resümiert Zehnder, der schon in den Neunzigern mit der Formation Stimmhorn Alpenklischees mit Kehlkopfgesang auf den Kopf stellte. Doch lauert das Jodeln, auf einem abstrahierten Level, selbst in dieser ausgefuchsten Duogeometrie dem Hörer immer noch auf. Ist „Oloidiolo“ nicht ein herrliches Palindrom?

Text
Stefan Franzen

Veröffentlicht am unter 98, Feature, Heft

Deutscher Jazzpreis 2024