Tourblog 1: Hotelgäste

Lorenz HargassnerVom intensiven Leben auf einer Tour wie der mit meiner Band in diesem Frühjahr könnte man endlos erzählen. Von Bandmitgliedern, die am Vortag des ersten Gigs von ihrer Freundin verlassen werden oder unterwegs in nur einer Tourwoche per eMail aus zwei Bands fliegen. Von verpassten Zügen, nicht gebuchten Hotelzimmern, falschen Telefonnummern. Von falschen Auskünften der Mietwagenfirma, nackter Angst beim Autofahren. Von verlorenen Mikrofonen, verschlossenen Parkgaragentoren, verschlagenen Hotelmanagern. Von endlosen und sinnlosen Soundchecks, aberwitzigen Gesprächen mit dem Publikum und verheerenden Besäufnissen mit Veranstaltern. Aber nichts von alldem schlug dem Fass so dermaßen den Boden aus wie die Hotelgäste in der österreichischen Kulturhauptstadt 2009 beim Frühstück.

Ein großer Speisesaal in einem mittelprächtigen Hotel, an dessen Tür angeblich drei Sterne prangen. In dem Raum könnte man getrost eine Hundertschaft verköstigen. Es befinden sich dort am größten Tisch in der Mitte allerdings nur zwei Personen, die sich jedoch in einer Lautstärke unterhalten, dass sie ein ganzes Theater damit ausfüllen könnten. Das erweist sich als kein Zufall, denn er, ein redlich bemühter junger Mann Ende 20, scheint Schauspieler zu sein, der sie, eine energische und nahezu hysterische Frau unbestimmbaren Alters (also irgendwas um die 40) mit aller Macht davon abbringen will, eine vernichtende Kritik über die Vorstellung des Vorabends zu schreiben. Davon will sie aber überhaupt nichts wissen und lenkt daher ständig das Gespräch auf ein anderes Thema, von dem sie eindeutig begeistert ist: ihre, wie sie meint, überdurchschnittliche Bildung in Literatur- und Theaterwissenschaft.

Dabei beläuft sich diese auf die Kenntnis der eingängigen Komödien wie von Nestroy und Konsorten, und um eine solche Verwechslungskomödie scheint es auch zu gehen. Kritisiert werden vor allem die Nacktszenen (!) der Inszenierung und die Frisur des Schauspielers, der auf eine künftige Filmrolle verweist, in der er einen Nazi spielen soll. Und sich leider auch für Sätze wie „Er ist einer der besten Regisseure, mit denen ich je zusammengearbeitet habe“ nicht zu schade ist. Die übereifrige und selbstverliebte Kritikerin vergisst ihrerseits nicht, dem Darsteller sein eigenes Talent großzügig anzuerkennen, kann aber trotzdem ihre fachkundige Meinung zur Aufführung des Vorabends nicht ändern, das schuldet sie ihrer Journalistenehre. Legendär bleibt der Versuch meiner Bandmitglieder und meinerseits, dem Geplärre mit einer quer über den ganzen Saal geführten Diskussion über die Qualität des Frühstücksbuffets Einhalt zu bieten. Außer einem verwunderten Blick und einer kurzen Atempause sollte unser subversives Unternehmen nichts bewirken.

So geht es hin und her, mit sichtlichem Vergnügen beider, uns mit ihrem überaus wichtigen Gespräch zu unterhalten. Das Vergnügen bleibt allerdings ganz auf ihrer Seite. Wenn wir nicht so verkatert gewesen wären und die Frühstücks-Deadline nicht einfach etwas zu früh angesetzt worden wäre, hätten wir uns auch vermutlich amüsiert. Wenngleich dieser Komödie etwas Tragisches nicht abzusprechen war. Als der junge Mann den Schauplatz des ungleichen Duells resigniert verlässt, wendet die Dame kurz ihre Aufmerksamkeit auch uns zu – und meint in uns Gleichgesinnte zu erkennen, zumindest in irgendeiner Weise Künstler oder „fahrendes Volk“. Und also kann sie nicht umhin, uns unverblümt mitzuteilen, dass sie auch selbst auf der Bühne steht: „Ich mach‘ nämlich auch Kabarett…“

Da waren wir vielleicht überrascht!

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