Tapferkeitsmedaillen

André NendzaBevor man als Musiker regelmäßig richtige Konzerte geben darf, stellen die Götter der Musikausübung Prüfungen, die nur die Tapfersten bestehen können. Einige Beispiele:

Zu der Zeit, als meine erste Band nicht mehr „Baggers Banquet“ und noch nicht „High Crime“ hieß, bastelten wir unter dem Namen „Lightmove“ täglich Stücke mit einer Fostex-4-Spurmaschine. Auf irgendwelchen verschlungenen Wegen konnten wir bei der Abi-Feier 86 eines Gymnasiums in Düsseldorf-Oberkassel ein Konzert ergattern. Mit einer kurzfristig zusammengestellten Band fuhren wir, fünf Jungs aus dem Dorf Hilden, zum ersten Auswärtsspiel in die Weltstadt Düsseldorf, die damals sogar noch einen Bundesligaverein ihr Eigen nennen konnte, und wurden schlagartig damit konfrontiert, dass Oberkasseler Gymnasiasten 1986 scheinbar direkt aus dem Hugo-Boss-Katalog entstiegen waren. Um es kurz zu machen: Spätestens als unser Sänger überraschenderweise mit einem Steppmantel und Hut auf die Bühne kam, hatten wir verloren. Der Saal leerte sich binnen Minuten, wir wurden nicht mal ausgebuht. Ob wir das Konzert tapfer zu Ende spielten oder abbrechen mussten, entzieht sich meiner Erinnerung. Wohl weiß ich noch, dass keiner sich traute, die ausgemachte Gage von 150 Mark für die Band abzuholen. So waren wir vielleicht nicht gut, aber auf jeden Fall billig.

Mit der Band „Offspring“, in der ich schon damals mit Philipp van Endert spielte, wurden wir für das Ehemaligentreffen einer schlagenden Verbindung in Bonn engagiert. Das Ganze sollte an einem 20. April stattfinden. Dass sich an diesem Tag „Führers Geburtstag“ jährt, machte uns in diesem Zusammenhang schon gewisse Sorgen. Auf der Fahrt in meinem R4-Kastenwagen malte ich mir Schlagzeilen aus wie “ Jazzband von rechter Burschenschaft mit Schmissen gezeichnet“. Jemand, der sich als Fuchs-Major vorstellte, begrüßte uns mit den Worten: „Ich hab übrigens mein E-Piano mitgebracht und würde gerne meine Nummer ‚Casino‘ mit euch spielen. Das hat auf verschiedenen Festlichkeiten immer wunderbar funktioniert. Ich sage dann die Akkorde an.“ Eigentlich hatte das Stück nur zwei Akkorde, was den guten Mann nicht davon abhielt, sich ab und an umzudrehen und lauthals „Geee“ und wenig später „Äääf“ zu brüllen. Dur oder Moll schien egal zu sein. Dieser Teil des Auftritts war dann auch der Höhepunkt des Abends, ansonsten wurde unsere Darbietung mit Nichtbeachtung bedacht, was unser Keyboarder mit immer absurder werdenden Ansagen wie „Das nächste Stücke ist ‚Phasedance‘ von Pat Metheny und ich mach jetzt gleich Striptease“ zu überprüfen suchte. Manchmal sehnt man sich nach einem Degengefecht.

Dieselbe Formation buchte eine begeisterte Konzertbesucherin spontan als Überraschungsgeschenk für den Polterabend ihrer Nichte. Zu dieser Zeit war uns nicht klar, dass man Auftritte dieser Art eher als Coverband-Mucke angehen sollte, und so tauchten wir bei diesen uns fremden Menschen mit sämtlichen Freundinnen und weiterem Anhang auf, um ein gefeiertes Konzert zu geben. Die Freude des Brautpaars hielt sich allerdings merklich in Grenzen, zumal wir gleich mal das noch nicht eröffnete Buffet in Angriff nahmen. Zähneknirschend wurde uns eine Ecke zugewiesen. Schnell stellte sich heraus, dass Brautpaar und Gäste eher nicht auf aufwändig geprobten Jazzfunk stehen. Der angetrunkene Bräutigam stand torkelnd vor der Band und schrie markerschütternd: „Rock ’n’ Roll!“ Damit konnten wir nicht dienen und so beendete er zeitnah die Veranstaltung mit den Worten: „Die Band ist gut, muss aber jetzt aufhören.“ Ob diese Ehe noch besteht, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber eigentlich konnte es für die beiden ja nicht mehr schlimmer kommen.

Während meines Studiums kam ein nicht unerheblicher Teil meiner Einnahmen durch das Spielen von Dinner-Jazz zustande. So konnte man bezahlt Standards üben und hatte regelmäßig Zugang zu Nahrung. Die klare Ansage war immer: Wir spielen nur zum Essen, nicht zum Tanz!!! Besonders klare Botschaften scheinen sich nicht immer zu vermitteln und so schwante mir Übles, als die Vorsitzende des Festkomitees des Tennisclubs Reuschenberg sich nach dem letzten von unzähligen klärenden Telefongesprächen mit den Worten verabschiedete: „Da freuen wir uns auf einen heißen Schwof.“ Mir war klar, dass es schlimm werden würde, und es wurde schlimmer. Diese Veranstaltung schrie nach der in „Fleisch ist mein Gemüse“ bestens beschriebenen Tanzkapelle und nicht nach geldgeilen Jazzstudenten. Was macht der Jazzer in Not in solchen Situationen? Er spielt „So What“ als Funk, „Someday My Prince Will Come“ im Wiener Walzerschlag und hofft zudem, mit diversen Jobim-Bossas über die Runden zu kommen. Leider funktioniert dieser Plan nie, zumal in den Pausen ein diabolischer DJ mit „Macarena“ todsicher die Tanzfläche füllt. Als meine Telefonpartnerin sich mit dem Worten „Ich dachte, Sie machen Tanzmusik“ verabschiedete, war ich von einem längeren Gefängnisaufenthalt nicht weit entfernt.

Ich hatte Mitte der neunziger Jahre zwei Prinzipien: Ich werde nie für die CDU spielen und an Silvester nur für 1500 Mark. Der leider verstorbene, großartige Vibraphonist Chris Eidens half mir mit seiner positiven Art und einer gewissen Summe Geld dabei, diese Prinzipien zu hinterfragen.

Sein Gig für die CDU fand im Ruhrgebiet statt. So konnte ich mein linkes Gewissen dahingehend beruhigen, dass das Spielen für die Rechten im damals roten Kohlenpott gleichsam einer Guerillaaktion glich. Der Ablauf der Veranstaltung hatte absurde Züge: Alle halbe Stunde stieg der kommunale Kandidat der Partei auf das Dach eines Busses, um seine vorbereitete Rede etwas hölzern vorzutragen. Pünktlich, wie sonst in der alternativen Szene nicht üblich, tauchte jeweils zur Rede eine gut besetzte Gruppe Jugendlicher auf, um den Mann niederzutrillern. Der Arme steigt vom Bus, die Demonstranten ziehen ab. Dieses Schauspiel wiederholte sich mit der Präzision eines Brechtschen Wiederholungseffekts einige Male. Dazwischen spielten wir unter dem Schutz eines Sonnenschirmes „It Had To Be You“. Allein die geschundene Seele des einstmals hoffnungsvollen Politikers glaubte nicht mehr daran.

Kurz vor Jahreswechsel 97/98 rief Chris Eidens an: „Ich hab etwas an Silvester, es gibt nicht viel Geld, aber wir können Jazz spielen. Angelika Niescier und Christoph Hillmann sind auch dabei.“ An diesem Tag mit Freunden Musik zu machen, schien eine Spaß versprechende Angelegenheit zu werden. Der Spielort war eine neu eröffnete Kneipe auf der Ehrenstraße in Köln. Leider hatte der Wirt sich entschlossen, 150 Mark Eintritt zu nehmen, was die Veranstaltung zu einer sehr exklusiven Angelegenheit für etwa 12 Menschen werden ließ. Die Grundstimmung war dementsprechend. Im ersten Set spielten wir, wenn auch nur zu unserer Freude, tatsächlich Jazz. Die Laune der Gäste wurde nicht besser. Selbst dem DJ gelang es in unseren Pausen nicht, die Leute zum Tanzen zu bewegen. Er hatte allerdings auch nicht „Macarena“ im Programm. In unserem zweiten Set wurde das Jazz-Gelübde gebrochen: Wir versuchten mit funkigen Stücken die Stimmung aufzuhellen. Das klappte leider nur bei einer – leider männlichen – Person, die meinte, mit einem ungelenken, aber kompletten Strip zum Gelingen der Party beitragen zu müssen. Das führte zwar zur kurzzeitigen Erblindung der Musiker, nicht aber zum gewünschten Effekt. Gott sei Dank (zu diesem Zeitpunkt klammerte ich mich bereits an die Religion) waren wir nur bis Mitternacht engagiert. Kurz vorher stellten wir fest, dass die Gäste auch die Nahrungsaufnahme verweigert hatten und so ein edles, unberührtes Buffet in der Ecke auf unsere Dienste wartete. Ein Hoffnungsstrahl in kalter Zeit. Als der Wirt nach Mitternacht noch über eine unbezahlte Verlängerung nachdachte, war es für mich an der Zeit, zumindest eines meiner Prinzipien wieder in Kraft zu setzen. In melancholischer Stimmung, WDR-4 hörend, fuhr ich nach Hause zur Liebsten.

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Deutscher Jazzpreis 2024