Kritiker sind Menschen

Wo also liegen die Gründe für den Enthusiasmus der Kritiker? Ich hatte da meine Vermutungen. These 1: Die Kollegen haben jahrelang keine Platte von Parker, Monk oder Coltrane mehr gehört und sind ganz aus dem Häuschen darüber, wie gut die Jungs damals doch waren. These 2: Die Kollegen haben ewig kein Live-Konzert besucht, kennen nur noch diese im Digitalstudio zusammengestückelten Säuselproduktionen und sind von der Wucht des Spontanen einfach erschlagen. These 3: Die Kollegen durften noch nie in ihrem Leben eine Neuerscheinung von Parker, Monk oder Coltrane rezensieren und jetzt gehen vor Glück die Pferde mit ihnen durch.
Dann habe ich recherchiert. Der wahre Grund ist: Auch Jazzkritiker sind nur Menschen. Hunderte Male im Jahr werden sie um ihr Urteil gebeten, müssen werten, punkten und küren, die CD des Monats bestimmen, anecken und Gefühle verletzen und alles besser wissen als die anderen Jazzfans. Wer sollte da keine Identitäts- und Kompetenzkrise bekommen? Wer verflucht da nicht manchmal seine Gottähnlichkeit?
Und dann kommt die CD eines verstorbenen, von der Geschichte heilig gesprochenen, von Tausenden von Kollegen abgesegneten Musikers. Man kann gar nichts mehr falsch machen, sich nicht blamieren und nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Einmal, dieses eine Mal wird man als Kritiker von allen geliebt. Ich wünsche den armen Kollegen noch viele archäologische Ausgrabungen.
Pit Huber







Ja ja, aber 1-3 haben viel mehr Charme. Ich glaube, es gibt keine Monokausalitäten; es wird daher wohl von allem etwas dabei sein.
Aber – dem demographischen Faktor sei gedankt – wird es immer besser ;-)