RIP: Roswell Rudd

Roswell RuddRoswell Rudd

In dem Film „Jazz an einem Sommerabend“ ist er mit Eli’s Chosen Six beim Newport Jazz Festival 1958 zu sehen. Ohne große Unterbrechungen machte Roswell Rudd damals seinen Weg vom Dixieland zum Free Jazz. Der Pianist Herbie Nichols, in dessen Band er zwischen 1960 und 1962 spielte, wurde sein Mentor. Das Repertoire von Rudds School Days-Band, die er Anfang der 1960er-Jahre mit dem Sopransaxofonisten Steve Lacy und dem Schlagzeuger Dennis Charles gründete, bestand ausschließlich aus Kompositionen von Thelonious Monk, mit dem Trompeter Bill Dixon spielte er Free Jazz, 1964 gründete er das New York Art Quartet. In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre machte Rudd wichtige Aufnahmen mit Archie Shepp, Cecil Taylor, Charlie Haden’s Liberation Music Orchestra und Gato Barbieri.

Der am 17. November 1935 in Sharon, Connecticut, geborene Posaunist Roswell Hopkins Rudd war einer der wenigen Weißen, die damals Zugang zur Szene der jungen, politisch motivierten afroamerikanischen Musiker hatten. Sie wollten etwas anderes machen, berichtete Rudd: improvisieren, swingen und den Blues spielen. Und dieses Zusammenspielen gab ihnen Kraft und die Bestätigung, Teil einer Bewegung zu sein. Sie wollten den großen Traum verwirklichen, sie hatten eine Vision von der Gesellschaft und der Musik.

Doch hinter der Schönheit seiner Musik war oft große Enttäuschung, manchmal sogar Verbitterung verborgen. Er habe jeden Job gemacht, um seine junge Familie durchzubringen, und zum Schluss lief dann doch alles schief. Dabei blieb er einer von denen, die immer spielen mussten, ob es Auftritte gab oder nicht. Schon als Kind begann er damit, weil er die Musik liebte, und dann stellte man auch noch fest, dass es ihm beim Atmen half, gut gegen sein Asthma war. Spielen wurde für ihn so auch zur Therapie – egal, was er sonst tagsüber gemacht habe, Lastwagen gefahren, im Straßenbau gearbeitet oder Unterricht gegeben: Posaune habe er jeden Tag gespielt. Ab Mitte der 1970er unterrichte der studierte Musikethnologe Rudd auch für einige Jahre World Music, Jazzgeschichte und Improvisation.

Seiner Lebenspartnerin und Managerin, Verna Gillis, verdankte er maßgeblich die Rückkehr auf die Szene. Seit Mitte der 1990er-Jahre macht er wieder eigene Aufnahmen, 2000 erschien bei Verve seine CD „Monk’s Dream“ mit Lacy, gefolgt von „Live In New York“ vom Roswell Rudd/Archie Shepp Quartett. Als er jedoch 40 Jahre nach seinen Anfängen in der Rezension eines Konzertes im New Yorker Jazzclub Village Vanguard lesen musste, dass der „Avantgarde-Posaunist Roswell Rudd“ gespielt habe, schrieb er einen Gegenkommentar, den er per E-Mail verbreitete. Denn „Avantgarde“ war aus seiner Sicht zu einem Synonym für Arbeitslosigkeit geworden. „Und ich sagte den Journalisten: Nennt mich Dixieland, innovativ oder lyrisch, und meldet Euch, wenn ihr einen Gig für mich habt. Aber nennt mich auf gar keinen Fall Avantgarde und ruft nicht erst dann an, wenn das Abendessen schon vorbei ist. Denn ich bin hungrig, sehr hungrig.“

Seine CD „MALIcool“, die 2002 bei Soundscape erschien, bezeichnete er als die Realisierung eines Traumes, ein Sound wie Atmen und Hypnose. Seine letzte großartige Veröffentlichung, „Embrace“ mit Fay Victor, Lafayette Harris und Ken Filiano, erschien an seinem 82. Geburtstag. Kurz darauf, am 22. Dezember 2017, ist Roswell Rudd in Kerhonkson, New York, einem langjährigen Krebsleiden erlegen.

Text
Christian Broecking
Foto
Arne Reimer

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