Tim Allhoff

Mehr Kontrolle, mehr Freiheit

Solo spielen ist ein Statement. Tim Allhoff wählt den Weg des Unterstatements, denn seine „Lovebox Sessions“ (Unit/Harmonia Mundi) sind eher Skizzenbuch als Selbstbekenntnis, gute zwei Handvoll Lieder mit Tendenz zu Reduktion und einer Prise Nostalgie.

Tim Allhoff

Augsburg ist die Stadt der Marktforscher: Institute wie Sociogramma sind extra dorthin gezogen, weil sich am Ort der typische, nicht zu arme und nicht zu reiche Deutsche pudelwohl zu fühlen scheint. Man munkelt, dass große Kaufhausketten ebendort bevorzugt ihre Kollektionen testen. Es gibt Geschichte in den Annalen, die von einstiger Größe zeugt – berühmte Söhne der Stadt sind etwa die Holbeins, Leopold Mozart, Rudolf Diesel, Bertolt Brecht. Und seit September des Jahres hat Augsburg sogar einen neuen Jazzclub, mitten in der City in der Phillippine-Welser-Straße. Kein schlechtes Pflaster also für Tim Allhoff, Pianist, Komponist und einer von der Sorte Musiker, der nicht auf den Paukenschlag des spektakulären Auftritts setzt, sondern auf die Kontinuität des künstlerischen Wachstums. Man hat es über das vergangene Jahrzehnt hinweg gut beobachten können, wie er im Trioverbund mit Bassist Andreas Kurz und Drummer Bastian Jütte vorankam, sich aus der von übermächtigen Ahnen wie Bill Evans oder Brad Mehldau gespeisten Ursuppe klassisch jazziger Klangvorgaben herausarbeitete, immer vorwärts in Richtung melodisches, gestalterisches Selbstbewusstsein. Ehrungen säumten seinen Weg, der „Neue Deutsche Jazzpreis“ beispielsweise, ein Newcomer-ECHO, mehrere Förderpreise der Region, übergreifende Arbeiten für das Theater Ingolstadt.

Alles läuft so weit rund, und das schafft Spielräume für Experimente.

„Über die Jahre hatte ich immer wieder Miniaturen für Klavier geschrieben und wollte die eigentlich nur aufnehmen“, erinnert sich Allhoff. „Was daraus wurde, ist aber einfach passiert. Im Lovebox-Studio von Michael Kamm, den ich schon seit Kindertagen kenne, standen viele wunderbare Vintage-Instrumente herum. Wir haben uns dann zwei Wochen mehr oder weniger eingeschlossen, herumgeschraubt und herumgedreht. Heraus kam das Album so, wie es ist.“

Michael Kamm spielte ein wenig Bass dazu, Augsburger Freunde wie der Gitarrist Martin Schmid oder der Schlagzeuger Jakob Mader halfen mit kleinen Add-ons aus, das Meiste aber lieferte Allhoff selbst. Das Ziel war nicht, eine Piano-Soloplatte zu entwickeln, die die Meisterwerke des Genres anvisiert, sondern eher, den Spaß an der gezielten Reduktion auszuleben, ein wenig Pop anzudenken, dann aber doch die Stücke aus dem Geiste der Improvisation heraus laufen zu lassen. Allhoff ließ sich inspirieren, direkt von Musikern und Komponisten wie Maurice Ravel, Chico Buarque, Thom Yorke oder John Lennon, mittelbar etwa von Patterns der linken Hand, wie man sie auch bei Francesco Tristano oder Gonzales findet.

Es ist ein Spiel mit den Möglichkeiten der Entschlackung, das er sich erst erlaubt, seitdem er ein Stück seines Weges bereits gegangen ist:

„Zugenommen hat die Kontrolle über mich selbst und über das Instrument. Das mag wie ein Widerspruch erscheinen, aber mehr Kontrolle bedeutet am Ende auch mehr Freiheit. Die Finger können klarer und schneller umsetzen, was ich denke. Dazu kommt aber auch die kontinuierliche Arbeit mit dem Trio. Im Laufe der Zeit haben wir größere Konzerte gespielt, mehr Möglichkeiten bekommen und andauernd voneinander gelernt. Das war schon ein sehr wichtiger Prozess. Auf der anderen Seite darf man Erfolg nicht zu ernst nehmen, sonst steht man sich ständig selbst im Weg. Mich erinnert das an Fußball. Wenn die Spieler einlaufen und das ganze Stadion jubelt, muss man das ausblenden können, sonst schießt man vor lauter Nervosität daneben“.

Es ist letztlich eine Frage des Mutes. Denn ein Album wie die „Lovebox Sessions“ mit Fender- und Upright-Piano-Sounds, allerlei analogen Klängen und klaren, pointierten Songs setzt auf die Kraft des Schlichten. Für den Pianisten Mitte dreißig steckt gerade darin die eigentliche Kunst: loslassen, Zwängen entfliehen, mit Melodien und präsentem Sound gefallen. Er hat auch ein frisch geschriebenes Streichquartett in der Schublade oder Arrangements für Orchester. Es sind genügend Songs auf der Warteliste für ein weiteres, diesmal wohl rundum akustisches Trioalbum, das sicherlich demnächst entstehen wird. Jetzt aber ist Zeit für den Solokünstler, der seinen Weg durch die Vintage-Welt findet. Den Augsburger, der ahnt, was ankommt.

Text
Ralf Dombrowski

Veröffentlicht am unter 111, Feature, Heft

Mr. M's Jazz Club Festival 2024

1 Kommentar zu „Tim Allhoff. Mehr Kontrolle, mehr Freiheit. Mehr Kontrolle, mehr Freiheit“

  1. Interessant wie Ihr einen Bogen von Augsburg als „Durchschnittsstadt“ zum Understatement von Tim Allhoff geschlagen habt.
    Gibt es eine Möglichkeit, den Künstler auch außerhalb Augsburgs live zu sehen? Vielleicht sogar in meiner Heimatstadt Ingolstadt?