Und was machen Sie sonst?

Lili LamengIn der vergangenen Woche hatte ich das Vergnügen, bei einer 20er-Jahre-Band auszuhelfen, die einer Vereinigung von Aquarianern den Abend verschönern sollte. Die Fischfreunde waren bester Stimmung, und wir waren eingeladen, uns in den Spielpausen am Buffet zu bedienen. Meistens ist das gleichbedeutend mit einer Einladung zum Resteessen. Ohne böse Absicht, denn sicher war eine Schriftführerin oder ein Kassenwart mit der Organisation der Veranstaltung betraut. Eben jemand ohne große Erfahrung in diesen Dingen und mit der guten Absicht, uns an ihrem Vereinsleben teilhaben zu lassen.

Nach zwei Sets dürfen wir an das Übriggebliebene. Eine Dame um die 50 nähert sich mir mit ihrem schwer beladenen Dessertteller. Angetan mit einem strassbesetzten Stirnband und Federboa suche ich nach Lachsscheiben, die sich möglicherweise unter erschlaffenden Salatblättern versteckt halten. „Wunderschön haben Sie gespielt, vielen Dank! Machen Sie das professionell?“ — „Ja.“ Solche Fragen stellt man mir öfter. „Kann man denn davon leben?“ Typische Frage von gut situierten Ehefrauen aus den alten Bundesländern, die sich in Vereinigungen aller Art engagieren oder ihren Männern auf Kongresse folgen. Was soll ich darauf antworten? Am liebsten würde ich mich gleich in die Garderobe verziehen, will jedoch nicht unhöflich sein. „Ach, wissen Sie, unsere Musik ist einfach sehr gefragt! Wir können uns nicht beklagen.“ Das freut die Dame, sie wünscht mir weiterhin viel Erfolg, und ich kann mich in Ruhe der Suche nach Herzhaftem widmen.

Frage ich meinen Zahnarzt, ob er Profi ist? Würde ich sein Können anzweifeln, wenn er nebenbei Geld mit Aktien verdient? Woanders sind Schauspieler meist automatisch auch Kellner. Wenn ich zugebe, dass ich auch mal ein Kleid nach Maß anfertige und regelmäßig an der Musikschule unterrichte, wird die Qualität meines Spiels in Frage gestellt. Andererseits hat mich noch niemand an der Musikschule gefragt, ob ich von Beruf Saxophonlehrerin sei.

Joshua Redman wollte nach seinem Abschluss in Harvard eigentlich noch Jura studieren. Erst mit dem Gewinn der Thelonious Monk Competition und einem Plattenvertrag machte er die Musik 1991 zum Beruf. Erst mal einen wichtigen Wettbewerb gewinnen? Darauf möchte ich nicht warten. „Ich möchte eigentlich noch BWL studieren, bin aber als Saxophonistin derart gefragt, dass ein Managergehalt mir nicht mehr reichen würde.“

Erst ab 1940 konnte sich Charlie Parker im Orchester von Jay McShann ein regelmäßiges Einkommen erspielen. Vorher war er Gelegenheitsmusiker und Tellerwäscher. War er deshalb im Hauptberuf Tellerwäscher? Und somit Hobbymusiker? Hobby!! Was ist das?

Selbst benannte Hobbymusiker hingegen scheinen mitleidig auf diejenigen zu schauen, die vom Jazz leben: „Susi ist die einzige Profimusikerin bei uns. Zum Glück ist der Jazz nur ein Hobby für sie. Susi leitet verschiedene Chöre im Ammerland, gibt Musikunterricht (klassisch) und singt seit 2000 bei der Müller-Meier-Jazzband.“ Herzlichen Glückwunsch, liebe Susi!

Der Webmaster der Müller-Meier-Jazzband weiß Bescheid, er hat es gut getroffen im Leben: „Neben der Tenorposaune an sich sind meine Hobbies Nordic Walking und Schi fahren. Mein Beruf ist Angestellter.“ Angestellter? Ist das ein Beruf? Soll ich den Herrn fragen, ob er das professionell macht, Angestellter sein? Was macht er da so? Will er mit dieser Berufsangabe sein tatsächliches Tun verschleiern?

Nachdem auch mein Teller mit einer Variation aus Fischigem und Überbleibseln italienischer Antipasti gefüllt ist, möchte ich zu der Aquarianerin gehen und ihr eine neue Variante auf die Professionalitätsfrage präsentieren: „Ich bin im Hauptberuf Schneiderin, außerdem zweite Vorsitzende eines Faschingsvereins, und das Saxophon ist mein Hobby.“ Ob sie das hätte hören wollen?

Veröffentlicht am unter Blog thing

Jazztival Schloss Elmau 2024

1 Kommentar zu „Und was machen Sie sonst?“

  1. Ohja, die Frage kenne ich auch nur zu gut: „Kann man denn davon leben?“ Es gruselt mich immer wieder. Auch beliebt bei Schüler-Eltern: „Und was haben Sie sonst für einen Beruf?“
    Oh man.
    Bin jedenfalls froh, mal wieder ein Musiker-Blog entdeckt zu haben. *freu* Ganz zufällig. War gerade via Google auf der Suche nach Anregungen für eine 20er-Jahre Party! ;)