CD im Heft

40 Jahre Bear Family Records

Vor 40 Jahren wurde Bear Family Records von Richard Weize gegründet und ist über die Jahre zur ersten Adresse geworden, wenn es um musikhistorische und aufwendig restaurierte Reissues geht, Schwerpunkt: Country, Rockabilly, Blues, Soul und Jazz, aber auch alte deutsche Schlager sind eine tragende Säule. Die üppig ausgestatteten, akribisch und meist lückenlos recherchierten Werkschauen wurden mit etlichen Grammys, ECHOs und deutschen Schallplattenpreisen dekoriert. Manchmal braucht Weize vier bis fünf Jahre, um alles Wesentliche zusammenzutragen.

CD Jazz thing 109: Bare Necessities (Cover)
Doch die Arbeit lohnt sich, und das nicht nur, weil das Label mit dem Nischenprogramm alle Tonträger-Rezessionen umschiffte und mit prestigeträchtigen Preisen überhäuft wurde: Es sind oft eher die kleinen Geschichten am Rande, die für Bestätigung sorgen. Wie die des betagten jüdischen Ehepaars aus New York, das während eines Europaurlaubs in Norditalien von der Veröffentlichung der 11-CD+DVD-Box „Beyond Recall“ über die jüdische Musik während des NS-Regimes erfuhr und sich kurz entschlossen einen kleinen Fiat mietete, um die Tour über die Alpen nach Norddeutschland zu machen. Auf dem Bauernhof in der Nähe von Bremen, wo die Bear-Family-Zentrale seit einiger Zeit angesiedelt ist, wollten sie sich ihr Exemplar eigenhändig abholen und vor allem persönlich bedanken. Auch das Interesse von begeisterten Kunden wie Bob Dylan ist Bestätigung. Immer wenn Dylan in Deutschland ist, bitten er und insbesondere sein langjähriger Bassist Tony Garnier die Bear-Family-Crew, doch die neuesten Boxen zum Auftrittsort zu bringen.

Bei der nächsten Lieferung könnte auch „Calypso Craze“, eine sieben Tonträger umfassende Box zum Calypso-Fieber der Jahre 1956 und 1957, dabei sein.

Auf unserer mit 28 Songs gut gefüllten Geburtstags-CD gibt es einen Querschnitt durchs Bear-Family-Programm mit viel Rhythm & Blues, Rockabilly, aber auch etwas Rocksteady, Jazz und Country sowie einigen exotischen Überraschungen.

Dave Barker: „Life Of A Millionaire“
Dave Barker ist bekannter als eine Hälfte des Reggae-Duos Dave & Ansell Collins. 1970 nahm Barker gemeinsam mit Lee Perry den Klassiker „Prisoner Of Love“ für Trojan Records auf. „Life Of A Millionaire“ erschien im selben Jahr als Single auf dem Ackee-Label. Nicht so bekannt, aber nicht minder gut.

Chuck Berry: „Beautiful Delilah“
Die Rolling Stones, Dr. Feelgood oder JD McPherson: Rhythm-&-Blues-Acts unterschiedlichster Generationen haben diese unterbewertete Berry-Nummer zu einem Klassiker gemacht. Immer gut, aber Chucks Original bleibt unerreicht.

Blizzards: „Hab‘ keine Lust, heut aufzustehn“
1966 nahm die Band aus Stade diese Single auf. Der Sixties-Beat wirkt mit der deftigen Fuzzgitarre fast schon wie der Sound von Ami-Bands wie The Standells, The Seeds oder The Sonics. Der Text war nicht minder punkig.

Billy Brown: „Run Em Off“
Rockabilly-Märchen über das „Rotkäppchen und der böse Wolf“-Thema. In Browns Band spielten spätere Country-Stars wie Jerry Reed und Ray Stevens, trotzdem kam der Korea-Kämpfer nie über den Insiderstatus hinaus. Unerklärlich!

Jo Ann Campbell: „Nervous“
Optisch erinnert Miss Campbell eher an Doris Day. Doch der von Bläsern getriebene Rhythm & Blues der Sängerin aus Jacksonville brachte sie sogar bis ins heilige Apollo Theatre nach Harlem. Kein Wunder bei Stompern wie „Nervous“!

Caesar: „Making Bacchanal“
Bacchanal nennt sich ein Büfett im legendären Caesar’s Palace. Die musikalische Melange aus Funk, Rock und karibischer Musik klingt, als hätten sich Can, Supermax und Bootsy Collins in der Karibik zum Brunch getroffen. Tolle Nummer, aber so was von untypisch für Bear Family!

The Danleers: „A Picture Of You“
1958 nahm das New Yorker Quintett diesen großartigen Teenage-Love-Song auf. Das Sahnehäubchen auf dem zuckrigen DooWop-Törtchen ist die Garnierung durch ein winselndes Saxofon.

Embryo: „I Like To Make Love“
Mit den Krautpionieren aus München hat dieser Embryo nichts zu tun. Die Band aus Trinidad spielte in den 70ern einen coolen Funk-Soca-Calypso-Rock-Mix und sorgt auf dem Sampler für einen der exotischen Momente.

Billy Emerson: „The Woodchuck“
Ike Turner vermittelte dem Keyboarder und Sänger eine Aufnahmesession in den Sun-Studios, und so nahm der Mann aus Florida den Zungenbrecher-Song für das legendäre Memphis-Label auf. Später erschien der Track auch noch mal auf Chess.

Jim Ford: „Big Mouth USA“
Obwohl seine Songs von Aretha Franklin, Bobby Womack und den Temptations gecovert wurden, wäre der Singer-Songwriter aus Kentucky fast gänzlich vergessen worden. Bear Family entdeckte den Songkatalog des Country-Soul-Rockers neu und setzte Ford auf die Artenschutzliste.

Frank Frost: „Everything’s Alright“
Dass die Delta-Blues-Legende auch für Sun aufgenommen hat und mit Musikern wie Conway Twitty oder Carl Perkins tourte, das ist auch auf diesem Song zu hören. Der rustikale Delta-Blues Frosts kommt mit Johnny Cashs typischem „Boom Chicka Boom“ daher.

Howlin‘ Wolf: „Chocolate Drop“
Es gibt zwei unterschiedliche Versionen, die Howlin‘ Wolf 1952 von diesem Song eingespielt hat. Hier ist der wildere der beiden Takes zu hören. Auf der alternativen Version spielte übrigens Ike Turner das Piano.

Roy Lee Johnson: „Black Pepper Will Make You Sneeze“
G’sundheit!! Die geniale Kombination aus treibendem Uptempo-Rhythm-&- Blues und gelegentlichen Niesanfällen nahm Johnson mit Dr. Feelgood aka Piano Red als Begleitung für das OKeh-Label auf.

Louis Jordan: „Workin‘ Man“
Swingende R&B-Nummer mit Popcorn-Touch. 1962 eingespielt vom King of the Jukeboxes und heute ein Klassiker der Northern-Soul-Szene.

Christine Kittrell: „Black Cat Cross My Trail“
Mitreißende Nummer der Blues-Wuchtbrumme, die im Laufe ihrer Karriere mit Johnny Otis, B.B. King, Little Richard, aber auch mit Louis Armstrong und John Coltrane zusammenarbeiten sollte. Ob ihr 1967 auch eine schwarze Katze über den Weg lief, als sie in Vietnam bei einem Auftritt zur Truppenbetreuung verwundet wurde?

Herbie Lee III: „Champagne Charlene“
Schriller Rhythm & Blues. Herbie Lee schreit und brüllt um sein Leben. Dagegen klingen Little Richard und Esquerita fast wie Chorknaben.

Louie & The Lovers: „Rise“
Creedence-Clearwater-Revival-Riffs treffen auf die Tex-Mex-West-Coast-Melodik des Sir Douglas Quintet. Verwunderlich sind die Einflüsse nicht, wenn man erfährt, dass Doug Sahm 1970 im Studio Regie führte.

Billy Love: „Drop Top“
Der Pianist, Sänger und Arrangeur arbeitete schon als Sessionmusiker für Sam Phillips, als dieser die Sun Studios noch nicht eröffnet hatte. 1951 aufgenommen und an das Chess-Label verkauft, ist „Drop Top“ eine jener tollen Automobile-Nummern, wie es sie nur in den 50ern geben konnte.

Mooah: „All Shook Out“
Rare and real nasty Rhythm & Blues von 1954. An Tiny Bradshaw erinnernd und mit einem Saxofon, das im Honker-Style à la Earl Bostic daherkommt. Großes Kino von D.J. Mattis alias Mooah!

Bill Ramsey: „Big Fat Mama“
Sensationelle R&B-Nummer, die Ramsey 1958 live und mit Rhythmusbegleitung für die Deutsche Columbia aufgenommen hat. Der hatte schon immer mehr drauf als den Schlagerklamauk, für den er gerade in den 50er- und 60er-Jahren bekannt war.

Wolfgang Sauer: „For You My Love“
Schon in seiner Jugend war der Sänger aus Wuppertal fast erblindet. Im Wirtschaftswunderland saß Sauer am Piano oft zwischen den Stühlen Jazz und Schlager. Seine mitreißende Aufnahme von „For You My Love“ wurde zur erfolgreichsten deutschen Jazzplatte des Jahres 1955.

Ronnie Self: „This Must Be The Place“
Auch wenn dem Rockabilly-Sänger in seiner Zeit bei Decca keine großen Hits mehr gelangen, ist „This Must Be The Place“ eine Glanznummer und so exaltiert wie Selfs späteres, von Alkohol- und Prügelexzessen geprägtes Leben.

Slim Harpo: „Shake Your Hips“
1966 nahm Slim Harpo diesen Klassiker in Crowley, Louisiana, auf. Eine Sternstunde des Blues, und das nicht nur, weil sich später die Rolling Stones und andere an dem Song versuchen sollten. Das Original jedoch wurde nie erreicht.

Melvin Smith: „Looped“
Der R&B-Stomper von 1952 ist schon wegen des unwiderstehlichen Kiekers in Smiths Stimme der Bringer. Leider blieb „Looped“ aber auch der einzige Hit des Sängers, der sich so gekonnt an Roy Brown und Louis Jordan orientiert hatte.

Sonny Terry: „Ride And Roll“
Sein lautmalerisches Spiel auf der Blues-Harp war einzigartig und hat Aufnahmen von Leadbelly, Champion Jack Dupree, Blind Boy Fuller, Big Bill Broonzy und etlichen anderen Folk-Bluesern geprägt.

Jon Thomas: „Heartbreak (It’s Hurting Me)“
Wunderbar groovende Version des Little-Willie-John-Songs. Getragen von einer pumpenden Hammond, wird der Song durch die Sax-Attacken zum absoluten Dancefloor-Filler.

Willie Mae „Big Mama“ Thornton: „Hound Dog“
Der wohl bekannteste Song des Samplers verkaufte sich 1953 in der Version von Big Mama Thornton 500.000 Mal. Ein Vielfaches ging drei Jahre später über die Ladentheken, als Elvis den Leiber/Stoller-Song ins Repertoire übernahm.

Mary Wells: „You Beat Me To The Punch“
Wunderbare, von Smokey Robinson geschriebene Soul-Calypso-Nummer, die 1962 für eine kurze Zeit Booker T. & The MG’s und deren Smash-Hit „Green Orions“ von Platz 1 der Billboard-R&B-Charts verdrängte.

Veröffentlicht am unter 109, Heft

jazzfuel