Tomasz Stanko

Wislawa

(ECM/Universal)

Tomasz Stanko – Wislawa (Cover)Es gibt viel zu erzählen. Auf gleich zwei CDs schafft sich Tomasz Stanko genügend Raum zur persönlichen Neudefinition, die gleichzeitig aber auch eine Rückbesinnung auf seine Wurzeln ist. Dazu musste der polnische Trompeter erst nach New York kommen, der Stadt, in der der Jazz immer noch eine tragende Rolle spielt und in der Stanko seit fünf Jahren ein Appartement besitzt. Zunächst habe er eigentlich nur den „Big Apple“ genießen wollen. Doch schon nach kurzer Zeit fand dieser unvermindert neugierige Gigant „three fantastic cats“ für sein New York Quartet: Musiker, die ihm mit 70 Jahren noch einmal eine andere Richtung aufzeigten, ihn aus der Sackgasse führten, in die er zuletzt mit dem Marcin Wasilewski Trio zu geraten schien. Dass sich Stanko dennoch von einem urpolnischen Impuls der 2012 verstorbenen Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska inspirieren ließ und deren Gedichte in eine spezielle musikalisch-lyrische Form übersetzte, darf man beileibe nicht als Widerspruch verstehen. Zwar zelebriert er seine stets von unterschwelliger Furcht gekennzeichneten Stimmungen auf „Wislawa“ intensiver denn je. Das damit einhergehende Gefühl des rastlosen Suchens und doch nicht Fündigwerdens, das endlich passgenaue Kissen für seine Albträume liefern ihm nun „seine“ New Yorker. Dem chronischen Melancholiker tut es gut, sich in die instrumentalen Gespinste voller Mystik, Ungeduld und Dringlichkeit fallen zu lassen, die Drummer Gerald Cleaver, Bassist Thomas Morgan und der mit einem feinen Sensor für die dunkle Seite Stankos ausgestattete Pianist David Virelles knüpfen. So free und zugleich balladesk klang Tomasz Stanko zuletzt 1976 auf seinem ECM-Debüt „Balladyna“!

Text
Reinhard Köchl
, Jazz thing 98

Veröffentlicht am unter Reviews

Leipziger Jazztage 2024