Raphael Walser

Der Ruf der Berge

Endlich ist die erste eigene CD aufgenommen, der Debütant ist happy und überlässt den Rest der Plattenfirma. So ist es normalerweise. Raphael Walser hat seinen Auftakt jedoch bis ins Detail geplant. Vom Albumtitel bis hin zum Cover, das er gestalten ließ, ist dem jungen Bassisten aus Zürich ein Wurf gelungen, mit dem wir die Reihe der JTNG wieder einmal in die allseits geschätzte Alpenregion verpflanzen.

Raphael Walsers Gangart - Wolfgang (Cover)Schon der Einstieg in das Album wirkt wie ein expressionistisches Gemälde. Diese Musik ist kraftvoll, sie steckt voller Energie, wirkt kompakt und doch in der Ausführung sehr offen. Zwei Saxofone tragen die hypnotische Melodielinie, während Klavier, Bass und Schlagzeug von Beginn an nervös und druckvoll zugleich um den wuchtigen Groove umhertanzen, so als wolle niemand sich einzwängen lassen. Und ziemlich schnell gerät das Quintett des Bassisten Raphael Walser ins Improvisieren. „Unbeschreibbar“, antwortet der Züricher heiter auf das Ansinnen, seine Kunst zu definieren. Doch dann sagt der junge Mann etwas, was ihm wichtig ist.

„Ich würde sagen, es geht um eine relativ freie Interpretation der Stücke, und das sollte man eigentlich auch hören. Dass da viel Freiheit drinsteckt. Ansonsten gibt es neben den energetischen Momenten auch nachdenkliche, zum Teil melancholische.“ Deshalb ziehe es ihn auch so oft in die Berge, sagt er; er ist bereits wieder auf dem Sprung dahin: „In den Bergen zu sein bedeutet für mich eine elementare Freiheit. Diese Freiheit soll auch in der Musik spürbar sein, ich empfinde das beim Spielen mit dieser Band so; dieses Gefühl ist unser Approach, unsere Stücke zu spielen.“

Raphael Walsers GangartDer 26-jährige Schweizer ist in einer Musikerfamilie aufgewachsen, mit vier hat er mit der Musik angefangen, und man hat damals viel Volksmusik gemacht im Haus. Walser sagt, dass ihn das beeinflusst habe, aber er hat nicht das Gefühl, es sei in seinem Debüt wahrnehmbar. „Man hört das nicht. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass es mal einfließen könnte.“ Die Musiker seines Quintetts, dem er den mehrdeutigen Namen GangArt gegeben hat, hat er nicht erst für seine CD zusammengestellt. Mit dem Schlagzeuger Jonas Ruther spielt der Kontrabassist schon seit den Schultagen, das Abitur haben sie mit einer gemeinsamen musikalischen Aktion bestritten. Die anderen hat Walser im Lauf der Zeit in der Jazzbarrage kennengelernt; das ist der Jazzclub, wo Zürichs kreative Musikerszene sich auch zum Jammen trifft: Pianist Marc Méan, Tenorsaxofonist Niculin Janett und Tobias Meier am Alt, mit knapp 30 der Senior der jungen Band. „Dort haben wir mehrmals zusammen gespielt. Irgendwann habe ich sie alle so gut gekannt, dass ich wusste: Ja, das sind jetzt die Richtigen.“

Walser schreibt die Stücke allerdings nicht als Zuschnitt auf die einzelnen Solisten. „Sie sind meistens so aufgeschrieben wie Standards, also ein Leadsheet mit der Melodie und den Akkorden. Das interpretieren wir dann und dabei entstehen dann mit dem Spielen die eigentlichen Abläufe. Da ist nichts streng vorkomponiert.“ Wenn bei einer Komposition mal die Bläser dominieren, dann hat sich das im Spiel ergeben, das ist nicht unbedingt beabsichtigt, sagt Walser. Hin und wieder entwickelt er auch ein dichteres Konzept, wie etwa bei der bedächtig schreitenden Figur in einem Stück, das er in Anlehnung an die klassische Tanzform „Passaglia“ betitelt hat. Justin Vernons „The Wolves (Act I And II)“ erhält in der Version von Walsers GangArt ein ziemlich verändertes Klanggewand; statt der extremen Brust- und Kopfstimme von Bon Iver nachzuspüren, verlegen nun die beiden Saxofone den Sound in die Tiefe. „Die wollten es so interpretieren, ganz aus dem Moment heraus ist das entstanden. Es ist wirklich sehr anders als das Original, aber ich finde, es transportiert die Idee der Komposition sehr gut“, kommentiert der freiheitsliebende Bandchef und erklärt nebenher, dass er mit der Sorte Folk und Roots, wie sie gelegentlich bei Frisell, Scofield, Norah Jones oder eben Bon Iver gepflegt wird, sympathisiert. Und ergänzt: „Ich wollte keinen eigenen Folksong schreiben, weil es schon so viele schöne Songs gibt.“

Der Titel des Albums ist ein Wortspiel aus dem Bandnamen GangArt und dem Song von Bon Iver: „Wolfgang“ (Double Moon/New Arts Intl). „Irgendwie ist es lustig, dass man einer CD einen wirklichen Namen gibt, wie einem Kind. Dieser Gedanke hat mir gefallen.“ Und alles, was sich mit dem wilden Tier assoziieren lässt, welches das Cover des Albums schmückt: Längst treibt der Wolf sich in den Schweizer Alpen herum, in denen Raphael Walser so gerne unterwegs ist. Für deren Musik hat er eine deutliche, wenn auch knappe Beschreibung parat: „Die Berge klingen monumental, elementar, wild, ruhig, unperfekt schön, lebendig, sich stetig verändernd/entwickelnd, geerdet und luftig zugleich.“

Text
Uli Lemke

Veröffentlicht am unter 106, Heft, Next Generation

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