Hannah Köpf. Stories Untold

Welcher tiefere Sinn steckt in Sedldedl-ba-shuga-dubab? Keiner, findet Hannah Köpf und singt stattdessen Worte, die aus dem Herzen kommen. Keine jazztypische Herangehensweise, aber möglicherweise ein Weg für Vokalisten, eine neue Brücke zu ihrem Publikum zu bauen. Denn der aktuellen Stimme in der Reihe Jazz thing Next Generation geht es vor allem darum, in ihren Songs Geschichten zu erzählen. Eine Kunst, die heute fast in Vergessenheit geraten ist.

Hannah Köpf - Stories Untold

Ein junger musikbegeisterter Mensch interessiert sich heutzutage für The Divine Company, Extra Life, die Dum Dum Girls, Maximilian Hecker oder Magnetic Fields. Jazz? Nicht wirklich? Wenn eine aus der Kategorie U 30 zudem als ihre persönlichen Helden Simon & Garfunkel, Joan Baez oder Carole King nennt und obendrein zugibt, dass sie total auf irischen Folk und die Beatles steht, aber auch Ella Fitzgerald ziemlich cool findet, dann reagiert die Generation Facebook in aller Regel verwirrt. Was is’n das? Singer-Songwriter lautet die aktuelle branchenübliche Bezeichnung für jene vergilbten Ikonen; Leute, die mit Harmonien genial jonglieren und mit ihrer Stimme obendrein Geschichten erzählen konnten, die hängen blieben.

„Kennen Sie die Cranberries?“, fragt Hannah Köpf fast zögerlich den JT-Autor in der Hoffnung auf dessen (altersbedingtes) Verständnis. Die allenfalls noch Insidern bekannte irische Popband mag sie ebenfalls, und das seit etwa 15 Jahren. Hoffnungslos altmodisch? „Nee“, sagt die Hauptperson und lacht erfrischend. Eigentlich lag es ja nur an einem pädagogisch völlig unsensiblen Klavierlehrer, der damals eine entscheidende Weiche stellte, als er das Mädchen im verzwickten Alter von 14 Jahren unaufhörlich mit Sonaten und Kanon-Übungen drangsalierte. Nach dieser wenig inspirierenden Erfahrung wäre es keine Überraschung gewesen, wenn die musikalische Laufbahn der Hannah Köpf mit dem Eintritt in die pubertäre Null-Bock-auf-gar-nichts-Phase ein jähes Ende gefunden hätte.

So aber müsste dem Zuchtmeister am Elfenbein trotz seiner damals an den Tag gelegten Kurzsichtigkeit im Nachhinein ein Orden für strategischen Weitblick verliehen werden. Denn Hannah wandte sich vom Klimperkasten ab und begann zu singen, erst in der Schulband und dann zunehmend allein mit einer Gitarre, weil die sich prima dazu eignete, „um ein paar Songs zusammenzubasteln und sie auf einem alten Vierspurgerät von Tascam aufzunehmen.“ Heute würde man so etwas „Komponieren“ nennen.

16 Lenze zählte sie in dieser Sturm-und-Drang-Zeit. Als Bibel diente ihr die ungemein populäre autodidaktische Gitarrenschule eines gewissen Peter Bursch, seines Zeichens Deutschrock-Fossil aus den 1970ern (wer kennt eigentlich noch dessen Band Bröselmaschine?), bis heute konsequent langmähnig und irgendwie pathologisch retro. „Der hatte immer solche alten Songs in seinen Übungsheften. Ganz klar: Das hinterlässt natürlich Spuren.“ Einige Rucksack-Ausflüge nach Irland sowie die mannigfaltigen Eindrücke des späteren Jazzgesangs-Studiums am Konservatorium von Amsterdam taten dann ihr Übriges, um eine junge Frau heranwachsen zu lassen, deren künstlerischer Horizont längst seinesgleichen sucht.

Hannah KöpfHannah Köpf bezeichnet sich selbst als Jazzsängerin und umgibt sich mit ausgewiesenen Jazzmusikern wie dem frischgebackenen Echo-Preisträger Frederik Köster (Trompete), dem Pianisten Benjamin Schaefer – beide ihre Vorgänger und damit Veteranen in der „Jazz thing Next Generation“-Reihe –, dem Saxofonisten Holger Werner, dem Bassisten Jakob Kühnemann sowie dem Schlagzeuger Silvio Morger. Aber sie erzählt in erster Linie Geschichten, die im puristischen Jazz bislang keinen Platz fanden, wie der Titel ihres Debütalbums Stories Untold (Double Moon/Sunny Moon) kundtut.

Jeder Song besitzt einen besonderen erzählerischen Duktus, sowohl von der Komposition her als auch von den Lyrics. Die Kölnerin benötigt keine Klischees, um die Hörer mit ihrer klaren, etwas anderen, samtweichen Stimme in Parallelwelten zu entführen, in denen mal die Sonne oder der Mond scheint und auch hin und wieder melancholisches Herbstlaub zwischen den Taktstrichen raschelt. Sie evoziert „Footprints In The Snow“ oder die Stimmung an einem nebelverhangenen Fluss („Misty River“), erinnert an die mahnenden Worte der Mutter („What Mama Said“) oder beschreibt ohne Scheu die zarte, göttliche, bedingungslose Liebe („Unconditionally“). Eine Gratwanderung zwischen kindlicher Naivität und großer Emotion, zwischen simplen Pop-Ohrwürmern, beschwingten Irish-Folk-Strukturen und gehaltvollen Improvisationspassagen.

Jazz? „Na klar“, gibt sich Hannah Köpf selbstbewusst. Nur eben anders. Bei ihr gibt es keinen Scat, kein laszives Biegen der Töne und keinen marktstrategischen Plan. Nur Bauchgefühl. Die weibliche, die verletzliche und gerade deshalb starke Seite des Jazz, ähnlich wie sie Rebekka Bakken oder Jessica Gall seit einiger Zeit erfolgreich offenlegen. Auch mit der deutschen Sprache probierte sie es anfangs, „aber das hat einfach nicht gepasst. Außerdem hat damals jeder angefangen, auf Deutsch zu singen.“ Sie wolle es vermeiden, sich in eine Schablone einpassen zu lassen, obwohl es durchaus schwierig gewesen sei, überhaupt in die Szene reinzukommen. Weil sich Existenzängste in solchen Fällen nie ganz abschütteln lassen, nahm Hannah zwischenzeitlich wieder ihr Lehramtsstudium auf. Vor zwei Jahren stand sie dann am Scheideweg – und verschrieb sich mit Haut und Haaren der Musik. Bereut hat sie es bisher nie. „Ich bin echt erstaunt darüber, wie viele Veranstalter uns haben wollen“, freut sich die komponierende Geschichtenerzählerin, die nebenbei auch als Gesangsdozentin an der Offenen Jazz Haus Schule in Köln arbeitet, über die Resonanz auf ihre erste Deutschland-Tournee, die im September beginnt.

Mit einem will Hannah Köpf aber noch aufräumen. „Ich bin eigentlich nicht altmodisch. Vor kurzem kam einer meiner Gesangsschüler zu mir und wollte ‚Satellite‘ einstudieren. Ich hab‘ das natürlich gemacht.“ Im Gegenzug versucht sie den Mädchen und Jungs dann das Mirakel eines Maria-Schneider-Arrangements oder einer Wayne-Shorter-Komposition näher zu bringen. „Es geht doch nicht darum, wie alt ein Song ist und aus welcher Sparte er stammt, sondern eigentlich nur darum, ob er gut ist.“ Bingo! Um Hannah Köpf müssen wir uns wirklich keine Sorgen machen.

Veröffentlicht am unter Next Generation

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