Clemens Gottwald

Musikalischer Wutanfall

Vielleicht ist es ein wenig undankbar, die Nummer 101 in der „Jazz thing Next Generation“-Reihe zu sein – Clemens Gottwald nimmt es mit Humor: „Ich hatte schon die Idee, irgendwas mit Dalmatinern zu machen, aber irgendwie ist mir nichts Rechtes eingefallen.“ Auf „Prisma“ macht er mit einem fulminanten Quartett aber klar, dass ihm ansonsten eine Menge eingefallen ist.

Clemens Gottwald – Prisma (Cover)

Das Album wird eröffnet mit dem spektakulären Song „Camel Crossing“. „Das ist meine erste Komposition für ein typisches Jazzensemble“, erinnert Clemens Gottwald sich.

„Geschrieben habe ich diesen Song 2017, und es war im Grunde ein Musik gewordener Wutanfall. Äußerst aufgebracht stand ich damals in meiner kleinen Wohnung, schnappte mir meine Posaune und donnerte das Eingangsmotiv in mein Horn. Die Band steuerte später ihren Beitrag dazu bei, diesen chaotischen Song zu ordnen. Das Ergebnis ist ein wilder Tanz, ganz wie ein tretendes, wild gewordenes Kamel.“

Sein Quartett mit dem Pianisten Simon Below, dem Bassisten Conrad Noll und der Schlagzeugerin Mareike Wiening wird auf diesem und drei weiteren Songs durch die E-Gitarristin Christina Zurhausen ergänzt. „Sie kommt nicht in erster Linie vom Jazz, sondern mehr vom Grunge“, erklärt der Bandleader. „Für mich passte das, denn ich wollte keine Jazzgitarre, sondern jemanden, der rockiger unterwegs ist.“

Clemens Gottwald stammt aus einem Dorf, in dem es völlig selbstverständlich war, ein Instrument in die Hand zu nehmen. „Ich habe zunächst Blasmusik gespielt, so richtig zünftig im Musikverein“, erzählt der Posaunist. „Mein erster Lehrer war zwar klassischer Musiker, hat aber auch Jazz gespielt, zum Beispiel in Bigbands. Er hatte aber auch ein Faible für Neue Musik und zeitgenössische Klassik.“

Wichtig war aber auch der große Bruder. „Er war der Erste in unserer Familie, der Internet hatte“, kann der Posaunist sich noch gut erinnern. „Das war noch zu einer Zeit, wo man morgens ein YouTube-Video aufgerufen hat und wenn man mittags nach Hause kam, lief das dann. Ich kannte zu der Zeit nur Bigband-Jazz, aber mein Bruder hat mir immer wieder auch andere Sachen vorgespielt. Oftmals war das Musik, bei der ich dachte:

„Was zur Hölle ist das?‘ Und das lässt einen dann nicht mehr los.“

Diese vielfältigen Einflüsse lassen sich auch heute noch in Gottwalds Musik identifizieren – das Jazzstudium in Köln hat unter anderem dazu geführt, dass Gottwald heute selbst in Würzburg Jazzposaune unterrichtet. Seine Mitstreiter hat er während des Studiums kennengelernt, seine Vorbilder an seinem Instrument umfassen die letzten 100 Jahre. „Kid Ory ist ein Posaunist, der mich fasziniert, und auf der anderen Seite Albert Mangelsdorff“, sagt Gottwald. „Das ist so ziemlich die Bandbreite, in der ich mich bewege – ein Musiker wie Ray Anderson verkörpert wohl beides.“

Clemens Gottwald (Foto: Klaus Rosen)

Unter den sieben Songs auf „Prisma“ ragt „Niggli’s Rest“ heraus, und das nicht nur, weil man sich wundert, warum jemand über den Tod des sympathischen schweizerischen Schlagzeugers sinniert. Die Erklärung ist zum Glück harmlos. „Der Song ist einer Katze gewidmet, die meine Mutter nach dem Schlagzeuger getauft hat“, erläutert Gottwald. „Diese Katze ist nach einer Krankheit entschlafen, und diesen Weg, diesen Kampf möchte der Song beschreiben. Am Ende umarmt uns der Tod, als letzter Liebhaber. Klingt nicht so schlimm, wenn ihr mich fragt. Lucas Niggli habe ich tatsächlich mal live in Schwäbisch Hall gesehen, zusammen mit Luciano Biondini und Michel Godard – da hat er mir sehr gefallen.“

In „Niggli’s Rest“ ist Gottwalds Quartett pur zu hören, in den zwei Versionen von „Life Is Shorter Than You Think“ ist dagegen Zurhausen mit an Bord. „Der Tod … schon wieder“, seufzt Gottwald, der so gar nichts Morbides an sich hat. „Diesmal ist es eine Widmung an einen meiner größten musikalischen Einflüsse: Wayne Shorter. Begonnen habe ich den Song mit einer Akkordfolge am Klavier. Irgendwann kam eine Melodie dazu, dann eine zweite, und dann war’s fertig.“

Dass fertig nicht immer fertig bedeutet, zeigen die beiden Fassungen des Songs, die extrem unterschiedlich klingen, weshalb sie natürlich auch auf dem Album gelandet sind. Eine positive Folge seines Albums hat Clemens Gottwald schon kennengelernt: „Das Booking ist einfacher geworden, seit ich dieses Album auf einem renommierten Label wie Double Moon ankündigen kann.“

Booking MaWeMarketing | Martina Weinmar

Jazz thing präsentiert
Clemens Gottwald
04.02. Troisdorf, Kunsthaus
08.06. Düsseldorf, Lovebird Festival (t.b.c.)
11.06. Köln, Loft
14.09. Zimmerbach, Jazz im Dorf Vol. 2
15.09. Würzburg, Z87 JazzClub

Text
Rolf Thomas
Foto
Klaus Rosen

Veröffentlicht am unter 152, Heft, Next Generation

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