80: Evan Parker

Evan ParkerEvan ParkerAm 5. April wurde der europaweit zu den einflussreichsten und prägendsten Improvisationsmusikern zählende Evan Parker 80 Jahre alt. Der britische Tenor- und Sopransaxofonist gehörte zu den Mitbegründern des europäischen Free Jazz und fördert bis heute junge Talente, denen er mit dem von ihm kuratierten Label PSI eine Plattform bietet – wie zum Bespiel auch Peter Evans oder Okkyung Lee. Auf seiner Homepage schreibt Parker über sein Label: „Ich habe es PSI genannt wegen der Assoziationen mit irrationalen Zahlen, dem Goldenen Schnitt usw., aber vor allem wegen der Psi-Phänomene, die meiner Überzeugung nach dem improvisierten Musizieren zugrunde liegen.“ Parker führte als Instrumentalist eine Reihe von erweiterten Spieltechniken ein, die die Möglichkeiten des Improvisierens und der klanglichen Spielerweiterung maßgeblich beeinflusst haben. Er hat bisher mehr als 200 Aufnahmen unter eigenem Namen veröffentlicht. Sein Stil zeichnet sich durch den kreativen Einsatz von Zirkularatmung, einem selbst entwickelten Fingersatz, Zungenschlag und weitere Improvisationstechniken aus. Per Zirkularatmung erzeugt er eruptive Ausbrüche sowie spiralförmige Linien und Phrasen über lange, auch repetitive Zeiträume hinweg. Neben eigenen Bandprojekten spielte er bei den „Machine Gun“-Sessions von Peter Brötzmann und im Globe Unity Orchestra von Alexander von Schlippenbach, sowie in dessen seit 1970 bestehenden Trio.

Parker wurde 1944 in Bristol geboren und begann im Alter von 14 Jahren, zunächst begeistert von Paul Desmond, Altsaxofon zu spielen. Anschließend kamen Sopran- und Tenorsaxofon dazu, maßgeblich unter dem Einfluss von John Coltrane, der, so Parker, „meine Wahl vor allem bestimmt hat“. Er zog 1966 nach London und wurde schnell Teil der improvisierten Musikszene der Stadt rund um den Little Theatre Club, wo er sich dem Spontaneous Music Ensemble von John Stevens anschloss und in der Gruppe des Schlagzeugers Tony Oxley spielte. Zusammen mit dem Gitarristen Derek Bailey wurde er eine der führenden Figur der improvisierten Musikbewegung in London und Europa. Sein Debüt „Topography Of The Lungs“ 1970 mit dem Schlagzeuger Han Bennink gilt als eine der einflussreichsten Aufnahmen des europäischen Free Jazz, der damals als „Neuer Jazz“ bezeichnet wurde. Im selben Jahr veröffentlichten Parker und Bailey zusammen mit dem King Crimson-Schlagzeuger Jamie Muir und dem Live-Elektroniker Hugh Davies „The Music Improvisation Company“ auf ECM.

Parker ist auch für seine Solokonzerte und -alben bekannt. Ursprünglich lehnte er Solodarbietungen ab, da sie der traditionellen Komposition zu nahe kämen, es interessierten ihn jedoch die Möglichkeiten der Interaktion zwischen Musiker/-innen und Instrument. Für seine Soloimprovisationen spielte er hauptsächlich Sopransaxofon in der Technik des „Suditory Streaming“, bei der durch Zirkularatmung, polyrhythmischem Fingersatz, Mehrklängen und Obertönen die Illusion von Mehrstimmigkeit entsteht, was Parker als „Pseudo-Polyphonie“ bezeichnete. 1976 veröffentlichte er „Saxophone Solos“, in denen er seine zahlreichen erweiterten und innovativen Techniken vorstellte.

Seit den Anfängen des Spontaneous Music Ensemble oder seines Duos mit Paul Lytton beschäftigte sich Parker zunehmend mit elektronischer Musik und elektro-akustischen Möglichkeiten der Improvisation. 1970 gründeten Parker, Bailey und Oxley Incus Records. Das Label wurde nach einem Zerwürfnis zwischen Parker und Bailey in den frühen 1980erJahren unter Baileys Kontrolle weitergeführt. Parker kuratiert Psi Records, das von Martin Davidsons Emanem Records herausgegeben wird.

Im Laufe der nächsten Jahrzehnte veröffentlichte Parker eine ganze Reihe von Alben, auf psi sowie anderen Labels, wie ECM oder John Zorns Tzadik, darunter mit den Pianisten Paul Bley und auch Cecil Taylor. 2023 erschienen die Alben „So It Goes…“ und „Etching The Ether“ mit dem Live-Elektroniker, Turntablist und Sounddesigner Matthew Wright sowie Peter Evans, Trompete, und Marc Nauseef, Perkussion. Dazu heißt es in den Liner-Notes von Stuart Broomer: „Was dabei entsteht, ist ein dezidiert pluraler Raum, ein zeitlicher Kubismus, eine Traumzeit, die omnidirektional ist.“ Wie Parker selbst auch, dem zum 80. Geburtstag eine „Birthday Residency“ im Londoner Café Oto mit Gästen gewidmet wurde.

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Text
Maxi Broecking
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CC BY-SA 2.0/richardkaby

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