Avishai Cohen

Der Kreislauf des Lebens

Der israelische Bassist Avishai Cohen gehört zu den großen Virtuosen auf seinem Instrument. Doch auf seiner neuen CD „Arvoles“ (Rykodisc/Warner) wird Virtuosität nebensächlich, und die Geschichten rücken in den Vordergrund.

Avishai Cohen (Foto: Andreas Terlaak)

In der Vergangenheit mochte man Avishai Cohen zuweilen einen gewissen Hang zur Redundanz bescheinigt haben. Auf seinem neuen Album „Arvoles“ ist davon nichts mehr zu hören. Vielmehr haftet der Musik eine selbstverständliche Natürlichkeit an, als würde man Wolken beobachten, durch den Wald laufen oder im Meer schwimmen. „Ja, es gibt diese pastoralen Momente in meiner Musik“, bestätigt der israelische Bassist.

„Natur ist mir sehr wichtig. Ich versuche nicht willentlich, sie in meine Musik einzubeziehen, aber am Ende bin ich glücklich, wenn es von selbst passiert. Es ist für mich schwierig zu erklären, wie Natur ein Teil der Kunst wird und umgekehrt. Beides hängt in meiner Welt so eng zusammen, dass es irgendwie dasselbe ist. Musik, die ich liebe, wie Mozart, hat immer diese natürliche Sinnlichkeit. Natur ist Magie.“

Bass, not Bass

In der Vergangenheit hat Cohen oft mit Stimmen gearbeitet. Auf „Arvoles“ gibt es keinen Gesang. Ungeachtet dieser Tatsache klingen seine Stücke noch mehr nach Songs als zuvor. Die Imagination von Stimmen ergibt sich aus den Instrumenten; der Bass oder das Piano selbst scheinen Texte zu flüstern. „Manchmal habe ich das Gefühl, Musik ohne Worte kann mehr Worte haben als Musik mit Worten“, findet Cohen.

„Unser Spiel ist sehr lyrisch. Ich wollte von Anfang an Songs schreiben. Manches mag in meiner Musik anmuten, als käme es aus der Klassik, aber die Liedform ist mir wichtig. Die größten klassischen Komponisten haben sich von Volksliedern inspirieren lassen. Ich will mich beim Schreiben von Musik nicht allzu weit von mir selbst entfernen, sondern Spaß an der Musik haben. Mein größter Wunsch besteht darin, dass meine Musik zu anderen Menschen spricht. Wir improvisieren ja sowieso über sie, machen sie abstrakter, denn wir sind Jazzmusiker. Aber je einfacher die Melodien sind, desto besser erreichen wir die Menschen.“

Vor dem Wort Jazzmusiker macht Cohen eine kleine Pause, als würde er nach einem passenderen Begriff suchen. In der Tat ist Jazz ein Grundbaustein seiner Songs, aber Klassik und Folklore unterschiedlicher Provenienz gehören ebenso dazu. Cohen macht keinen Hehl daraus, dass er mit gängigen Kategorien für Musik nur wenig anfangen kann. Er möchte mit offenherzigen Musikern jeglicher Art spielen können.

„Ich kann nichts dagegen tun, dass ich als Jazzmusiker wahrgenommen werde. Ich spiele auf Jazzfestivals, habe mich aber nie ausschließlich als Jazzmusiker gesehen. Nicht nur Jazzmusiker können improvisieren. Ich suche nach dem besten Weg, Menschen zu berühren. Dazu muss ich mich nicht als bestimmter Typus von Musiker klassifizieren.“

Avishai Cohen ist seit mehr als zwei Jahrzehnten im Geschäft. Er muss nicht mehr beweisen, dass er sein Instrument beherrscht. Es geht ihm längst nicht mehr darum, seinem Bass so viel Raum wie möglich zu geben. Mehr noch, sein Viersaiter drängt sich im kohäsiven Zusammenspiel der drei Musiker, die die meisten Stücke des Albums bestreiten, kaum noch als Einzelquelle in den Vordergrund. Überhaupt wirken auch die anderen Instrumente mehr wie Kanäle, über die der Fluss der Musik ermöglicht wird, und weniger als Ziel und Zweck des Zusammenspiels.

„Manchmal gelingt das besser, manchmal weniger, aber keines meiner Alben war jemals ein Showcase für den Bass. Ich bin froh, ein Teil des Zusammenhangs sein zu dürfen, in dem ich jeweils spiele. Es geht immer um die Komposition. Alle Elemente greifen ineinander, in der Kunst genauso wie im Leben. Ich habe nie diese Platten gemocht, auf denen ein Instrument besonders im Vordergrund steht. Ich möchte das Gefühl haben, von großer Musik umspült zu werden.“

Denken, Spielen, Erzählen

Bei allem, was er sagt, wirkt Cohen ein wenig verlegen. Nicht, dass es ihm an Selbstbewusstsein mangeln würde. Er weiß genau, was er tut, und kennt seinen Stellenwert. Aber er mag es nicht, allzu viele Worte um seine Musik zu machen, denn der Klang selbst sagt doch alles, was gesagt werden muss.

„Manchmal werde ich gefragt, wie ich komponiere oder was ich in der Musik denke. Aber ich finde mein Heil in der Musik, weil ich da eben nicht denken muss. Mein Hirn leitet mich, um ein Stück Musik hervorzubringen, das präsentierbar ist. Richtig zu denken fange ich erst an, wenn ich die Musik anderen Musikern übersetzen muss. Bei Musik geht es nicht ums Denken, sondern ums Fühlen. Wenn jemand dabei denkt, ist das okay, aber das ist nicht das Wichtigste.“

„Arvoles“ ist kein reines Pianotrio-Album, denn in einigen Songs erweitert Cohen seine Band zum Quintett. Das lockert das Geschehen nicht nur auf und gibt der Aufmerksamkeit Entspannung, sondern ist auch dem Umstand geschuldet, dass es einfach zu viele Pianotrios gibt. Dem Mann aus Jerusalem kommt es darauf an, Geschichten zu schreiben, die der Persönlichkeit der Bandmitglieder entsprechen. Mit Drummer Noam David spielt er seit der Schulzeit zusammen. Die beiden Musiker sind einander extrem eng verbunden. Pianist Elchin Shirinov lernte er durch Noam David kennen. Cohen hatte nach einem Pianisten gesucht, der kein Amerikaner ist. Er liebt an ihm die Tendenz, nur wenige Noten zu spielen und stets die Story im Ohr zu behalten.

„Selbst wenn das Trio improvisiert, sind diese Improvisationen immer eng mit dem Grundgedanken der Story verbunden. Ich würde es hassen, mein Trio mit anderen Trios vergleichen zu müssen. Vielleicht besteht ein Unterschied darin, dass ich mein Pianotrio nicht als Pianist leite. Die Einzigartigkeit jedes Trios liegt immer in der Originalität des Storytellers.“

Das Trio, mit dem Cohen vor knapp 20 Jahren berühmt wurde, war das Chick Corea New Trio. Corea hatte die erste Platte des Bassisten gehört, bevor sie erschienen war, und engagierte ihn kurzerhand. Er mochte vor allem Cohens Kompositionen.

„Für mich bedeutete das viel, denn Corea war ja selbst so ein großer Erzähler. Durch ihn verstand ich überhaupt erst, wozu ich in der Lage bin. Er ging mit seinen Kompositionen immer weit ins Risiko. Ich lernte von ihm, wie wichtig es ist, sich als Komponist zu fühlen. Denn nur dann investiert man genug in die Musik, um ihr die adäquate Bedeutung zu verleihen. Wir tauschten uns immer über Kompositionen aus. Chick hat auch schon auf das neue Album reagiert und meinte, das würde ihn an meine frühen Kompositionen erinnern.“

So kehrt alles zu seinen Ursprüngen zurück – ein Gedanke, der Cohens Ideal von der Naturbelassenheit aller guten Kunst sehr nahekommt. Vollkommenheit ist der Tod jeden Ausdrucks, aber auf „Arvoles“ ist Avishai Cohen auf vollkommene Weise unvollkommen.

Text
Wolf Kampmann
Foto
Andreas Terlaak

Veröffentlicht am unter 130, Feature, Heft

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