Musina Ebobissé

Alte Seele mit jungem Gesicht

Die Ohren werden groß, die Nebengeräusche verstummen. Kein Schlagzeug, kein Bass, kein Klavier. Nur noch das sonore, matt schimmernde, wie ein Taschentuch durch den Raum schwebende Tenorsaxofon. Musina Ebobissé nimmt sich Zeit – ein in dieser überhitzten Leistungsgesellschaft selten gewordenes Gut. Zeit zum Reflektieren, Muße, um das Thema zu entwickeln, es mit neuen Ideen und Perspektiven zu füttern. Der aktuelle Protagonist der „Jazz thing Next Generation“-Reihe macht vieles anders als der Rest seiner Zunft – was ein wenig auch an seiner Wahlheimat Berlin liegt.

Musina Ebobissé Quintet – Timeprints (Cover)

Irgendwann fließt es bei Musina Ebobissé. „The Eagle Song“ aus der Feder des russischen Klassikkomponisten Isaak Schwarz ist der einzige Song auf „Timeprints“ (Double Moon/in-akustik), der nicht von dem französisch-kamerunischen Tenorsaxofonisten stammt. „Ich habe bis zuletzt überlegt, ob ich ihn überhaupt drauflasse“, erzählt der 29-Jährige – und er hat genau die richtige Entscheidung getroffen.

Denn vor allem hier, im Rausschmeißer eines mehr als imposanten Debütalbums, das ihn als 79. Protagonisten in die Ruhmeshalle der „Jazz thing Next Generation“ aufnimmt, zeigt Musina Ebobissé, was ihn von den meisten Saxofonisten seiner Generation unterscheidet. Er ist sich nicht zu schade, behutsam schlichte Melodien zu modellieren, ihnen Struktur und Glanz zu verleihen, ohne dabei auf Effekthascherei zu setzen. Das exakte Gegenmodell zum Reedsplayer herkömmlicher Prägung, der sein Ego nur schwer im Zaum halten kann und immer der Star sein will, qua Instrument sozusagen. Dennoch schlummert in Musina eine alte Seele mit frischen, jungen Gesichtszügen. Sein Spiel erinnert ein wenig an Mark Turner, mitunter auch an Lee Konitz.

„Schon witzig“, lächelt der groß gewachsene, sympathische Musiker. „Eigentlich höre ich diese Leute ganz, ganz selten. Insofern kann man mir auch nicht nachsagen, ich würde sie kopieren. Aber eines steht fest: Mit ihnen verglichen zu werden, ist definitiv ein Kompliment.“

Wer Musina Ebobissés Biografie durchkämmt, der stößt auf ganz andere Leidenschaften. Der junge Mann aus dem elsässischen Savergne bei Straßburg – Sohn einer französischen Mutter sowie eines kamerunischen Vaters – steht auf Blues, Reggae, HipHop und Rock. Während seiner Lehrjahre am Straßburger Konservatorium absolvierte er zwar ein Jazz- und Soziologiestudium, spielte aber mit wachsender Begeisterung in angesagten Szenebands wie TND, FREEZ, Art District oder Dolls Can‘t. „Dass ich Bob Marley, Ben Harper und Jimi Hendrix mit allen Fasern meines Körpers aufgesogen habe, bedeutet ja nicht automatisch, dass ich wie sie klinge.“

Es waren eher verschlungene Pfade, auf denen Ebobissé zu seiner Bestimmung fand. Papa wollte zunächst, dass der Junge Klavier spielen sollte, dann begann er, Gitarre und mit acht Jahren auch Saxofon zu lernen. „Aber mein Lieblingsinstrument war es anfangs nicht unbedingt. Ich empfand es eher als supercool. Mittlerweile weiß ich aber, dass ich mich nirgendwo anders besser ausdrücken kann.“

Musina Ebobissé Quintet

Den entscheidenden Schub in seiner Karriere brachte freilich der Wechsel nach Berlin, wo Musina am Jazzinstitut bei Lehrern wie Peter Weniger, John Hollenbeck, Greg Cohen, Jim Black oder Kurt Rosenwinkel studierte, 2017 seinen Bachelor in Jazz-Performance und schließlich 2019 seinen Master in Jazz-Komposition ablegte.

„Berlin ist einfach unglaublich. Eine bewegte, geschichtsreiche, offene Stadt, die mir wahnsinnig viel Energie gibt“, schwärmt Musina Ebobissé. „Hier passiert eine ganze Menge. Die Palette der Möglichkeiten ist breit und vielschichtig, auch hinsichtlich der Musiker.“ Jobs gibt es fast überall. Neben dem ERB Trio und Blendreed mischt er als Sideman noch im Thijs de Klijn Quintet, in der Hans Anselm Big Band, in Olga Amelchenkos großem Ensemble und im Art Ensemble von Moabit mit. Was Wunder, dass auch sein eigenes Quintett ein multinationales Amalgam aus Kreativität und Freiheit darstellt: Altsaxofonistin Olga Amelchenko stammt aus Russland, Pianist Povel Widestrand aus Schweden, Bassist Igor Spalatti aus Italien und Drummer Moritz Baumgärtner aus Deutschland.

„Time Prints“ nennt Musina ein typisches Berlin-Album, „geprägt durch meine Erlebnisse in der Stadt, diese Mischung aus amerikanischem und europäischem Jazz, aber auch durch Erinnerungen, Fantasien und Erwartungen. Wir müssen lernen, die Zeit zu beherrschen.“ Die neun Eigenkompositionen, die Titel wie „Silhouette“, „Hairsplitting“, „Dusk Seekers“ oder „Rêveries“ (Träume) tragen, vergleicht er mit einer Reise durch das eigene Ich. Der Auftakt zu einem spannenden Abenteuertrip. Fortsetzung unbedingt erwünscht!

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Text
Reinhard Köchl

Veröffentlicht am unter 130, Heft, Next Generation

Mr. M's Jazz Club Festival 2024