RIP: Gary Peacock

Gary PeacockGary PeacockEnde der 1960er-Jahre stand Gary Peacock am Abgrund – physisch ebenso wie psychisch. Wahrscheinlich war die Kluft zu breit gewesen, die der damals junge Kontrabassist in New York mit Vehemenz und Virilität zu überbrücken versuchte. Einerseits war er der, wenn auch nicht direkte Nachfolger seines viel zu jung verstorbenen Freundes Scott LaFaro im Trio des Pianisten Bill Evans – wobei das Evans-Album „Trio 64“ mit ihm und Paul Motian am Schlagzeug bei weitem nicht die Beachtung fand, die es wegen der radikalen Spielhaltung und -auffassung der drei Musiker verdient gehabt hätte. Andererseits erkundete Peacock im Trio mit einem anderen Pianisten, Paul Bley, neue, harmonisch freie Wege im Jazz, arbeitete zudem mit Jimmy Giuffre und George Russell zusammen – und setzte 1964 mit dem Saxofonisten Albert Ayler und dem Schlagzeuger Sunny Murray mit „Spiritual Unity“ einen frühen, stilbildenden Meilenstein im Free Jazz dieser turbulenten Jahre in New York. Doch der Preis, den der 1935 in Idaho geborene Musiker zahlen musste, war hoch: Alkohol und Drogen, vor allem LSD, zehrten an seinen Kräften und brannten ihn aus.

Peacock stieg aus und zog für drei Jahre nach Japan. Ursprünglich hatte er vor, seinen Universitätsabschluss in Biologie zu machen. Doch in Japan entdeckte er die spirituelle Kraft des Zen-Buddhismus und lernte dort Musiker kennen, mit denen er einige Alben einspielte, die den Grundstock für seine spätere, zweite Karriere als international anerkannter Kontrabassist im Jazz legen sollten. Allen voran „Silver Works“, eine Platte mit dem japanischen Shakuhachi-Spieler Hozan Yamamoto, die außerhalb Japans nie veröffentlicht worden war. Mit wenigen Noten und einer rhythmischen Präsenz steckte Peacock den Raum ab, in den der Pianist Masabumi Kikuchi frei assoziierend seine oftmals breit aufgefächerten Arpeggi platzierte, um den eigentümlichen, gleichermaßen verhangenen wie prägnanten Sound der japanischen Bambusflöte in den Fokus zu stellen.

Seinen Abschluss in Biologie machte Peacock 1976 an der University Of Washington. Kurioserweise nahm er zu der Zeit aber auch schon sein Comeback-Album für das damals noch junge, Münchner Label ECM Records auf. Mit dem 1977 erschienenen „Tales Of Another“ etablierte er dann ein Jazz-Piano-Trio, das nur wenig später als Keith Jarrett Trio drei Jahrzehnte lang weltweit für Furore sorgen sollte. In diesem Trio nahm Peacock eine wichtige Funktion ein. Er war zum einen der sichere Ankerpunkt, an den Jarrett nach seiner Exegese des musikalischen Materials andocken konnte. Zum anderen war er der Treibriemen zwischen der exaltierten Expressivität des Pianisten und der rhythmischen Präsenz des Schlagzeugers Jack DeJohnette. Stoisch in sich ruhend, befeuerte er geradezu mit kurzen, melodischen Phrasen zumeist in der hohen Lage seines Instrumentes die sich hoch auftürmenden Wellen der Improvisationsmusik dieses einmaligen Trios.

Überhaupt waren es Pianist*innen, die für Peacock erste Wahl als Partner*innen für seinen aufreibenden, zeitlosen Jazz waren. Mit Bley griff er noch einmal den Faden auf, den die beiden mit Motian in den 1960ern ausgelegt hatten – nun aber mit der erfahrenen Gelassenheit gereifter Improvisationskünstler. Mit der Pianistin Marilyn Crispell erkundete er auf „Nothing Ever Was, Anyway“ die Musik seiner Ex-Frau Annette Peacock neu. Und mit Marc Copland (Piano) und Joey Baron (Drums) ließ er zuletzt noch einmal seinen voluminösen Ton auf dem Kontrabass hoch aufschwingen. Am 4. September ist Gary Peacock im Alter von 85 Jahren in Upstate New York gestorben.

Text Martin Laurentius

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Martin Laurentius
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Arne Reimer

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