Bregenzerwald
Weisen und Wiesen, Teil 1

Frohen Mutes zurück auf dem Autositz. Im Radio wird über subjektive Realitäten in Tageszeitungen und Fachblättern diskutiert. Ich versuche, nicht hinzuhören. Keine Chance heute …

Nun: Objektivität, Subjektivität – alles ist relativ. Schubladendenken ersetzt den anstrengenden Versuch, sich mit komplexen Inhalten und der Mehrdeutigkeit auseinanderzusetzen. Auch Voreingenommenheit und eine damit einhergehende Prise Selbsthass gehören mit dem Schubkarren zum Kompost gefahren … Weder ein Nietzsche noch ein Adorno haben die Wahrheit oder Weisheit gepachtet. Das einzige Recht in dieser Hinsicht, das ich jedem der beiden zugestehe, ist, ihre eigene Weisheit und Wahrheit zu pachten als das, was sie ist: eine persönliche, eine eigene, eine einzige aus Milliarden. Ein Stern unter vielen.
Und der letzteren Vielzahl wird von den Gralshütern einer anderen Zunft, den Gastronomiekritikern, gerne vom Himmel geholt, geputzt und gewichst wie hernach vergeben und versprochen. Eieieieieiei … Wieder ein Grund, Alkoholiker zu werden? Ein vorgeschobener, kokett eingefädelt. Tee aus getrockneten Walnussblättern unterstützt die Leberkräfte. Ausgleich suchend.
Langsam schwindet die Helligkeit des Tages, die Weiße des Schnees leuchtet von Minute zu Minute stärker, bis die Eiskristalle vollends die herrschende Macht der beginnenden Nacht übernehmen. Ein wenig Licht ins Dunkel bringen!

Nun noch ein warmes Glas Wasser, bevor wir uns verabschieden. Zurück nach Bezau. Ein Paar Schwimmzüge im Nass des Hotelbeckens, E-Mails checken und damit beruflich „nach dem Rechten“ geschaut. Die Uhrzeit ruft zum Abendbrot. Ich werde im Speisesaal des Hotels Post (in der fünften Generation geleitet von Susanne Kaufmann) zu einem kleinen Abendmenü erwartet.
Kärntner Nudeln als Vorspeise, hernach ein Salätchen, Ziegenleber als Hauptspeise, Griesnockerl mit Beerenmus und Eis zum Dessert. „Käse schließt den Magen“, geleitet mich als Aufforderung zur Selbstbedienung am Käseeckchen; ich treibe es garantiert nicht bis zum „Käse verschließt den Magen“, mahnt ein neuer Gedanke.
Mir fällt die sperrig-lederne Weinkarte auf, die mit fairen Preisen und natürlich vorwiegend österreichischen Weinen auftrumpft.
Der 2007 Morillon „November Rain“ vom Weingut Zweytick aus dem österreichischen Ratsch an der Weinstraße (www.ewaldzweytick.at) stammt aus Südsteiermark. 25 Monate in Barrique aus französischer Eiche gelegen. Ein Angstblitz zündet durch meine Gedankenwelt: Bei all dem Raubbau auf dieser Erde wird es neben entwaldeten Regenwäldern irgendwann auch keine alte französische Eiche mehr geben. Und unsere mechanistische Zeit beweist, dass es in der Weinzubereitung auch der Holzschnipsel tut. Irgendwann reichen dann Sägespäne, und zu schlechter Letzt wird Barrique-Geschmack auch noch synthetisch hergestellt. Offenes Ende.
Fahren wir fort mit dem Eröffnungssatz auf der Homepage von Ewald Zweytick: „Schade, dass man Wein nicht streicheln kann.“ Ein hundertprozentiger Kurt Tucholsky.

Später an der Hotelbar treffe ich noch einen Tagesgast, der gerne einmal im Haubenlokal mit seinem „braven“ Hund (unterm Tisch) speisen möchte. Und verlauten lässt, schon alleine wegen der Weinkarte gerne in die Post zum Logieren zu kommen. Solche Geschäftsleute sind ein Plaisir.
Wir stoßen gemeinsam an mit einem Trinkspruch von Bruno Prats, einst geschäftsführender Gesellschafter von Château Cos d‘Estournel in Bordeaux: „Weißwein ist das, was man trinkt, bevor man Rotwein trinkt.“
„Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Thor sein Leben lang“, wird dem sächsischen Reformator Martin Luther, 1483 bis 1546, seinerseits antisemitischer Polterer und Vordenker Richard Wagners, in den Mund gelegt. Schauen wir uns einmal die zweite Strophe des Deutschlandlieds an und zählen eins und eins zusammen …
Im imaginären Radio streiten sich nun fleischlos und fleischunlos. Ohne Vorwarnung. Lieber gutes Pferdefleisch als Gammelfleisch. Deklariert ist beides nicht. Mehr als ein Fauxpas.
Nun, generell wie ungenerell bitte ich, mich von obsessiver Veganermission wie undifferenzierter Fleischfresserei zu verschonen. Ich kann beide Tendenzen nachvollziehen, mag sie allerdings nicht, insbesondere Letztere ist mir ein Dorn im Auge. Naja, ein Dorn von vielen. Und ohne Dorn kein Dornröschen. Den nächsten Heinz-Erhard-Pseudoanfall kann ich unterdrücken – und in der nächsten Folge geht’s unter anderem nach Dornbirn. Wohl bekomm’s!
KULTURVEREIN BAHNHOF
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