European Jazz Legends

Fred Frith, Ralf-Rainer Hübner, Heinz Sauer


Fred FrithRalf-Rainer Hübner

Heinz Sauer

„Mit Jazz hab ich eigentlich gar nichts am Hut.“

17 Kilometer sind es von Kronberg nach Frankfurt. Heinz Sauer weiß das so genau, weil er die Strecke früher oft gelaufen ist, nachts auf den Schienen, aus dem Jazzmekka zurück in die Kleinstadt im Taunus. Denn natürlich dauerten die Sessions länger, als die Bahn fuhr.
Heinz Sauer (Foto: Lutz Voigtländer)

„Wir hatten ja damals nur ein Zirkuszelt in Frankfurt, da haben wir unsere Tenor-Battles gemacht, da war ich natürlich auch. Das könnt ihr euch alles gar nicht mehr vorstellen“, meint der 84-jährige Saxofonist. „Aber da war man jung, und diese Musik und alles Drumherum hat einen fasziniert.“

Jetzt lacht der Mann, der inzwischen nicht nur mit einem ECHO Jazz, sondern auch mehrfach mit dem Deutschen Schallplattenpreis ausgezeichnet wurde. 2012 landete er mit einem Duo-Live-Album mit Michael Wollny sogar in der „Choc l‘année“-Bestenliste des französischen Magazins Jazzman.

„Warum ich Jazz gespielt habe? Man wollte bei den Frauen ankommen. Boogie-Woogie hab ich gespielt, nach Möglichkeit bei offenem Fenster.“

Im Februar 2017 sitzt Heinz Sauer auf dem Balkon seiner modernen Wohnung in Bad Soden, unweit von Kronberg, und blinzelt in die unverhofft warme Mittagssonne.

„Es heißt immer: Der Alte erzählt wieder vom Krieg, aber vieles hat damit zu tun, es war ja die Nachkriegszeit. Wir mussten ja vor jedem in Uniform – Postbeamter, Bahnbeamter, egal, und die Lehrer sowieso– ‚Heil Hitler‘ sagen. Es war eine autoritäre Atmosphäre, und wir haben uns entsprechend devot verhalten. Es gibt Fernsehsendungen, da sind wir mit Mangelsdorff aufgetreten und sollten was sagen – wir waren völlig eingeschüchtert! Verglichen mit den Amerikanern waren wir nichts, wir waren geschädigt. Die kamen uns wie Menschen vom anderen Stern vor. Die sind so was von relaxed aufgetreten, auch die Soldaten. Da sind wir natürlich auf alles Amerikanische abgefahren, das kann man sich heute bei Trump gar nicht mehr vorstellen. Jazz war ja die Musik der Sieger, und die ältere Generation, die mochte es nicht, wenn man Jazz spielte. Wenn man auf Jazz stand, war man gleich gezeichnet. Da hatten wir so richtig einen Generationenkonflikt auszutragen. „

Heinz Sauer ist in Merseburg in Sachsen-Anhalt geboren und aufgewachsen. Auf Wikipedia kann man lesen, dass er zuerst Physik studiert hat, sich das Saxofonspiel – zuerst Bariton, bald Tenor – selbst beigebracht hat.

„Das klingt jetzt so blöd, aber ich finde Saxofon so ein fürchterliches Instrument. Ich würde es nie wieder anfangen. Mein Stil hat sich geändert, ich arbeite jetzt dauernd an einem Sound. Es ist schwer, da kann man schon verzweifeln. In meinem nächsten Leben möchte ich um Gottes willen nicht wieder Saxofon spielen. Stattdessen Cello vielleicht, jedenfalls ein Streichinstrument. Oder Piano, da muss man natürlich früh anfangen, bis man so spielen kann wie der Michael Wollny. Ich hab ja erst mit 20, 21 mit meinem Instrument angefangen. Das ist zu spät.“

Wenn Heinz Sauer, wie er es oft tut, sagt, dass sich seine beiden je halb so alten Gegenüber etwas aus seiner Historie nicht vorstellen können, ist das weniger Phrase als Feststellung. Manche der Geschichten aus den prägenden 50er-Jahren kennt man schon von Kollegen, etwa von den Radiosendungen der „Voice of America“, zu denen Musiker zeitgleich Bebop-Stücke transkribierten, oder den Saxofonlehrern am Konservatorium, die Studenten rieten, doch erst einmal Klarinette und Mozart zu lernen. Aber Musikgeschäfte, in deren Hinterzimmern man die ersten Platten aus Amerika im engen Kreis anhörte und dazu Hasch rauchte?

„Können auch die Sechziger oder Siebziger gewesen sein“, sagt der schlanke Mann mit dem durchdringenden Blick. „Aus der Ferne verwischen die Jahrzehnte ein bisschen.“

Eindeutiger war damals der Jazzbegriff.

„Das ist er heutzutage nicht mehr. Das ist eben die Frage: Was ist Jazz? Soll man das als Kunst betrachten, als Kunstmusik? Was ist ein Jazzmusiker: ein Künstler oder ein Handwerker oder dazwischen? Das ist ungeheuer schwer. Ich habe die Berendt-Zeit erlebt. Da hat man ja versucht, diesen Jazz hoffähig zu machen. Als Albert Mangelsdorff Quartett mussten wir uns einen Smoking kaufen und damit in Sälen auftreten. Ich habe es gehasst, fand, das passte überhaupt nicht. Das haben wir dann so lange gemacht, bis wir die Einzigen in den Konzerten waren, die sich so angezogen haben. Und da habe ich gesagt: ‚Schluss!‘ Aber diese Phase war wichtig.“

Zwölf Jahre lang gehörte Heinz Sauer zu Albert Mangelsdorffs Quintett oder Quartett, tourte mit ihm, wie es auf seiner Website heißt, „durch Asien, die USA, Kanada, Südamerika, den Orient, Nordafrika“. Auf Videos, etwa von „Now Jazz Ramwong“, erkennt man ihn schon an der lässigen, leicht vorgebeugten Haltung des Größten in der Runde. 1960, im selben Jahr also, in dem ihn Mangelsdorff in seine Band holte, wurde er auch Mitglied des Jazzensembles des Hessischen Rundfunks. Was er damals für das Ensemble geschrieben hat, findet er heute „fast kindisch, auf jeden Fall naiv“.

„Wenn man mich fragen würde: Jetzt mache ich sicherlich das, was ich mir früher als Jazz vorgestellt habe. Lassen wir mal Jazz weg: als improvisierte Musik. Das mache ich jetzt, aber damals haben wir vor allem versucht, so wie die Amerikaner zu spielen. Ich weiß noch, Freunde meinten: ‚Hör dir den mal an, der spielt amerikanisch.‘ Albert Mangelsdorff war da ein ganz wichtiger Mensch für mich. Der meinte: ‚Heinz, hör auf, diese Sachen zu hören!‘ Ich hab die Coltrane-Platten ja fast aufgefressen. Der Coltrane hat etwas ausdrücken wollen, also nicht nur musikalisch. Das ist richtig, und das ist aus der Zeit geboren und nicht wiederholbar. Das ist natürlich das Problem unserer Musik: Sie ist geboren und schon gestorben. Albert meinte: ‚Hör das nicht mehr, spiel dich selbst.‘ Albert hatte so ein bisschen Autorität, die hat er auch gepflegt. Ich habe auf ihn gehört, wohlwissend, dass man das eh nicht schaffen wird. Schon weil man kein Amerikaner ist. Wir haben ja die Kulturdiskussion. Viele haben gesagt, geh doch nach Amerika. Aber ich habe die Kultur nicht. Später hat Albert oft gesagt: ‚Ich will von dir bei jedem Konzert einen Ton hören, den ich noch nie gehört habe.‘ Das ist das Improvisationsproblem. Dagegen kämpfe ich an.“

Bei Heinz Sauer (Foto: Lutz Voigtländer)
Wie eine Mahnung liegt auf dem Balkontisch die Fotokopie einer Konzertkritik aus der FAZ. Es geht um das Neujahrskonzert von Heinz Sauer und Michael Wollny am 7. Januar 2017. Immer wieder schiebt Heinz Sauer dieses Papier mit dem Titel „Sein und Nichtsein“ auf dem Tisch herum. Was Wolfgang Sandner da schreibt, etwa von „zwei Künstlern, die wissen, was sie tun, aber dabei etwas zu suchen scheinen, was noch größer ist und hinter dem Wissen steht“, spricht Heinz Sauer aus dem Herzen.

„Der Sandner hat genau das getroffen, worum es mir jetzt geht. Genial, wie er das geschrieben hat. Sich auf den Moment verlassen, das ist wirklich ein Wagnis, insofern verstehen Michael und ich uns gut. Da muss man auch Psychoarbeit leisten, das Vertrauen bekommen, dass einem da auch irgendwas einfällt.“

Üben hilft da nicht, im Gegenteil.

„Ich muss zum Teil zum Konservieren üben, so ein oder zwei Stunden am Tag. Aber bei improvisierter Musik steht man oft vor der Frage: Was soll ich üben? Das hat mich vor 20 Jahren schon jemand gefragt. Tonleitern? Das ist schwierig. Aber gar nicht geht auch nicht. Man muss eigentlich viele Sachen üben, sodass man im richtigen Moment die Eingebung hat. Ich will auf jeden Fall nicht das, was ich geübt habe, stolz vorführen. Da übe ich lieber nicht. Wenn man so ad hoc komponiert, wenn man mit Michael spielt, da läuft das so. Mit Albert haben wir das Konzert oft eine Stunde zu spät angefangen, weil wir Angst hatten, nicht bereit zu sein: ‚Wer spielt den ersten Ton?‘ Albert war dann der ‚Strongste‘ immer, weil er auch der sogenannte Chef war, darauf haben wir dann reagiert.“

In einer Ecke des Wohnzimmers, hinter der Tür zum Flur, steht ein Regal mit Schallplatten.

„Ich habe mir einen Braun-Plattenspieler besorgt. Wenn man aus irgendeinem Grunde die Idee hat, etwas anzuhören, mache ich das. So gut wie nie eigene Sachen. Ich hab da zwei, wahrscheinlich drei CDs, die gehen. Aber ich bin da nicht mit allem einverstanden, was ich mache. Ich gehöre zu den Leuten, die denken, dass sie das, was sie früher gemacht haben, jetzt nicht mehr brauchen. Stücke spielen und Harmonien, das habe ich längst aufgegeben. Das haben wir ja gemacht. Die Situation im Studio muss man auch verkraften. Gegen wen soll man da schimpfen? Gegen wen spielt man da?“

Was hört er zurzeit? “Trump“, antwortet er, ohne die Miene zu verziehen.

„Mit Trump hat man wieder einen klaren Feind. Und wenn jetzt auch noch der Brexit kommt … Da spielt man auch wieder anders. Ich hoffe wenigstens, dass das so ist. Auch für mein Spiel. Ich bin für Expressivität, das ist aber schon wieder so ein Spezialgebiet des Jazz. So hab ich auch früher gespielt: gegen etwas! Irgendwann blieb dann der liebe Gott übrig, wenn man es genau betrachtet.“

Hauptsächlich höre er klassische Musik, Minimal Music, gerne auch Prince.

„Moderne klassische Musik ist oft gut konstruiert. Wenn der Jazz da nicht hinkommt, will ich da hingehen. Wir haben in Frankfurt vier Stunden lang ‚Nixon In China‘ von John Adams gesehen. Da stand der Geiger, ein älterer Herr, vier Stunden auf einem Stuhl – das bewundere ich auch. Ich brauche Musik, die auch emotional etwas hergibt, das ist bei klassischer Musik oft sehr schwierig. Mit Jazz hab ich eigentlich gar nichts am Hut. Für mich soll’s improvisierte Musik sein, aber auch das ist sehr schwer.“


Fred FrithRalf-Rainer Hübner

Text
Götz Bühler
Foto
Lutz Voigtländer

Veröffentlicht am unter 118, Feature, Heft

jazzfuel