Keith Jarrett

New Vienna

ECM/Universal

Keith Jarrett – New Vienna (Cover)Worin mag der Mehrwert liegen, wenn beinahe im jährlichen Turnus unveröffentlichtes Material von Keith Jarrett erscheint? Längst läge die Vermutung nahe, die häppchenweise veröffentlichten, letzten Konzerte aus des Meisters Schaffensperiode, der zwei Schlaganfälle ein jähes Ende setzten, seien Teil eines Plans. Dabei unterscheidet sich auch die vierte Folge der Europatournee des Pianisten nach München, Budapest und Bordeaux von 2016 erstaunlicherweise weitgehend von ihren Vorgängern. Man glaubt diesen Jarrett in- und auswendig zu kennen, sein anfängliches Suchen nach Noten, sein Grummeln in den Tiefen, seine Tour de Force in den Höhen, aus denen allmählich Strukturen entstehen. Und dann überrascht er auf „New Vienna“, aufgenommen im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins, zu Beginn mit einem eruptiven Klangwirbel, ungestüm und wild wie ein Vulkanausbruch. Oder lässt Akkorde durch die Luft schweben und fasziniert mit zwei völlig unabhängig voneinander agierenden Händen. Wenn eine lyrische Atmosphäre zu keimen beginnt, zerstört er sie rüde mit abstrakten Gebilden, ehe er Brücken zum Belonging Quartet baut („Part VII“) und schließlich zu Blues, Gospel und Country zurückkehrt. Tatsächlich ist jedes neue Album von Keith Jarrett immer noch ein Hörabenteuer allererster Güte. Auch dieses.

Text
Reinhard Köchl
, Jazz thing 160

Veröffentlicht am unter Reviews

49. Leipziger Jazztage »Mapping Music«