Clemens Gutjahr Trio

Monster

Gruselig? Ein bisschen schon. Die tiefdunkle, Englisch sprechende Stimme schwebt über einem bedrohlich wirkenden Synthieschleier und erzählt mit der hypnotischen Eindringlichkeit eines Narrators aus alten Horrorfilmen von jenem Augenblick, in dem die Rationalität langsam in einem großen schwarzen Loch verschwindet. „Then fantasy creates a new world!“ – die Welt der kleinen Monster. Zumindest akustisch haben der Pianist Clemens Gutjahr und sein Trio diese Kreaturen nun für die „Jazz thing Next Generation“-Reihe zum Leben erweckt.

Clemens Gutjahr Trio – Monster (Cover)

„Sie sind auf keinen Fall nur furchterregend, sondern können auch ganz nett und witzig sein“, verteidigt Clemens Gutjahr seine Kopfkreaturen, denen er mit seinem Trio ein ganzes Album gewidmet hat. „Wir alle kommen manchmal mit rationalen Erklärungen nicht mehr weiter und weichen deshalb in eine Fantasiewelt aus, in der wir uns Dinge vorstellen, die ganz bizarre Formen annehmen. Das sind dann eben die Monster. Im Text heißt es auch, dass sie schließlich die Wände unseres Verstandes mit Dreck und Himbeersaft bemalen.“

Nette Geschichte. Aber nur eine von insgesamt zehn fantasievollen musikalischen Novellen, die Pianist Clemens Gutjahr, Jan Mikio Kappes am Bass und Jonathan Delazer an den Drums im Stil von virtuosen Märchenonkeln auf „Monster“ (Double Moon/in-akustik) zu Gehör geben. Sie tun das jedoch nicht naiv, sondern mit einer erstaunlichen Liebe fürs Detail, die mitunter starke Bezüge zur klassischen Kompositionslehre aufweist, aber auch den traditionellen Jazz als solide Basis beinhaltet.

„Wir haben einfach Spaß daran, miteinander zu spielen und etwas auszuprobieren“, umschreibt Clemens Gutjahr die Experimentierlust des Trios, das den Einsatz von elektronischen Elementen und Klangeffekten mitnichten als Ausnahme, sondern eher als feste Regel neben all den Voicings, Blockakkorden und Läufen auf seiner Agenda hat. „Wobei ’spielen‘ bei uns durchaus im ursprünglichen Sinn des Wortes gemeint ist“, lächelt der aus Chemnitz stammende und inzwischen in Krefeld lebende 29-Jährige, der vor allem in dieser Hinsicht ums Verrecken nicht erwachsen werden will.

Also vertonen er, der Stuttgarter Kappes und der Südtiroler Delazer, die sich seit ihrem gemeinsamen Studium kennen, nach einem 2015 in Eigenregie veröffentlichten, mehr akustisch ausgerichteten Album mit dem sinnigen Titel „Entkalker“ munter weiter ihre Gedankenschlösser. Die handeln von der isländischen Elfenkönigin „Úlfhildur“, die der Fluch ihrer Schwiegermutter dazu verdammt hat, bei den Menschen zu leben. Oder vom „Space Captain“, der seine Mission ins All antrat, ohne zu ahnen, dass er später einmal zum Gegenstand einer Religion werden würde.

Clemens Gutjahr Trio (Foto: Wolfgang Schmidt)

Sie fabulieren instrumental über das obdachlose, aus Plasmaströmen entstandene „Traumteufelchen“, das sein Dasein in einem Carport fristen muss, über eine Straßenbahn, die sich in einen „Stadtwurm“ verwandelt, liefern in „Nebel“ den Soundtrack zu Christian Morgensterns Gedicht „Novembertag“, lassen den „Libelloopterix“, eine Kreuzung aus Libelle und Dinosaurier, auferstehen oder erklären, dass „Luftmus“ nichts anders ist als besagte Farbmischung aus Dreck und Himbeersaft, mit der sich die Monster gerne vergnügen.

Der Eindruck, Gutjahr sei womöglich im besten Wortsinn ein Traumtänzer, verflüchtigt sich nach einem Blick auf seine Biografie. Er, der sich dort als „freischaffender Künstler“ bezeichnet, studierte in Paris am Conservatoir National Superieur de Musique et de Danse sowie bei Hubert Nuss an der Musikhochschule Stuttgart Jazzpiano, schrieb am Theater Krefeld-Mönchengladbach die Soundtracks für die Inszenierungen von „Das Tagebuch der Anne Frank“ sowie „Tschick“, komponierte für Computerspiele und mischt aktuell bei der Psychedelic-Jazzband Mother of Guru sowie der elektronischen Singer-Songwriterin CJ Cora mit. Seine Bachelorarbeit im Fach Soziologie trägt den bedeutungsvollen Titel „Die Konstruktion von Identität und der Einfluss von Musik am Beispiel des Jazz in der DDR“ und ist seit 2014 sogar als Buch erhältlich.

Der vielseitige, umtriebige Tastentüftler und seine kongenialen Partner brauchen Bilder, Handlungsstränge, Geschichten, um ihre ebenso ungewöhnliche wie faszinierende Musik zu realisieren und dem Pianotrio eine neue, aufregende Farbe zu verleihen.

„Für uns ist es enorm wichtig, dass wir uns fallen lassen und der jeweiligen Situation hingeben können“, betont Clemens Gutjahr – um die Monster stets als Kreativitätsquelle an der Seite zu haben.

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Reinhard Köchl
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Wolfgang Schmidt

Veröffentlicht am unter 131, Heft, Next Generation

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