RIP: Tomasz Stanko

Tomasz StankoTomasz Stanko

Oktober 2003: Eine Gruppe deutscher Musikjournalisten hatte sich auf den Weg nach Warschau gemacht. Man war vom staatlichen Polnischen Kulturinstitut eingeladen, das altehrwürdige Festival Jazz Jamboree in der polnischen Hauptstadt zu besuchen. Doch der eigentliche Grund für diese Pressereise war ein anderer: Polen hatte sich vor 15 Jahren darauf vorbereitet, ab dem 1. Mai 2004 Mitglied der EU zu werden. Und weil Deutschlands östlicher Nachbar seit Jahrzehnten auch eine große Jazznation ist, spielten improvisierte Musik und Jazz eine bedeutende Rolle für diesen Schritt Polens in ein geeintes Europa.

Natürlich stand auch ein Gespräch mit Tomasz Stanko auf dem Programm. Nicht erst seit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 ist der Trompeter, 1942 in Rzeszów im Südosten Polens unweit zur Ukraine und Slowakei geboren, über die Grenzen seines Heimatlandes bekannt gewesen. Man traf sich in Stankos Appartment in der polnischen Hauptstadt, bei Kaffee, Tee und Keksen erzählte der damals 61-Jährige freimütig und offen über sein Leben. Davon, welche Bedeutung seine Zusammenarbeit mit dem Pianisten Krzystof Komeda für ihn hatte, an dessen legendärem Album „Astigmatic“ er Mitte der 1960er beteiligt war, und wie wichtig ihm sein ECM-Debüt „Balladyna“ von 1975 gewesen ist. Davon, wie es ihm psychisch zu schaffen machte, dass er in den 1980ern unter dem harschen Jaroselzki-Regime gleichsam mit einem Arbeitsverbot belegt worden war. Davon, wie dankbar er dem Norddeutschen Festival JazzBaltica war, das ihm 1991 eine Rückkehr als Jazztrompeter auf die große europäische Bühne ermöglichte. Und davon, wie glücklich er war, in den 1990ern mit ECM und Manfred Eicher einen Neustart geschafft zu haben, der so großartige und erfolgreiche Alben wie „Litania“ zeitigte, mit dessen Repertoire aus Kompositionen Komedas Stanko auch einen Rückgriff in die eigene Vita zeigte.

Stanko ließ sich von niemandem vereinnahmen. Sein Ton auf der Trompete besaß stets ein geräuschhaftes Melos. Dieser Widerspruch wurde allein durch seine Persönlichkeit aufgelöst: durch seine emotionale Integrität und intellektuelle Tiefe. Als Anfang der 2000er-Jahre überall in den Medien von der Emanzipation des Jazz aus Europa geschrieben wurde, ging Stanko einfach nicht mit: Der Trompeter, der von vielen als europäische Stimme im Jazz schlechthin angesehen wurde, schlug stattdessen sein Domizil in New York auf und pendelte seitdem zwischen seiner neuen und alten Heimat hin und her. Auch musikalisch: Nahm er 2009 das vielschichtige Album „Dark Eyes“ mit einer mit jungen skandinavischen Musikern besetzten Band auf, so formierte er fast zur gleichen Zeit sein New York Quartet, mit dem er mit „Wislawa“ und „December Avenue“ zwei späte Meisterwerke veröffentlichen sollte. Anfang des Jahres kam Stanko mit Verdacht auf Lungenentzündung ins Krankenhaus. Doch die Diagnose war niederschmetternd endgültig: Lungenkrebs, fortgeschritten, unheilbar. Am Morgen des 29. Julis, einem Sonntag, ist Tomasz Stanko nun im Alter von 76 Jahren in Warschau gestorben. Text: Martin Laurentius

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Roberto Masotti

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