The Man Who Left The World

Die deutsche Jazzszene erinnert sich an David Bowie

Blackstar! Dieses Album wäre in jedem Fall eine Einlassung wert. Doch das Schicksal schlägt zuweilen schneller zu, als die Mechanismen des Marktes greifen.

David Bowie (Illustration)
David Bowie ist tot. Nur wenigen Menschen ist es vergönnt, so viele Spuren zu hinterlassen, kaum ein Künstler findet einen vergleichbaren Abgang. Wie alles in seinem Leben ist auch diese Koinzidenz von Final Cut und endgültigem Abschied eine perfekte Inszenierung. David Bowie wusste um seinen Krebs, und er wusste ihn vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Die ganze Restenergie seines Lebens floss in diesen triumphalen Schlussakkord. Nachdem er in den letzten Jahren eher im Mittelmaß angekommen war, zeigt er auf seinem letzten Album – mit Jazzmusikern wie Donny McCaslin, Ben Monder, Tim Lefebvre und Mark Giuliana – noch einmal, was den Namen David Bowie ausmacht und immer ausgemacht hat. Ein Geist, der sich um die öffentliche Meinung nur so weit schert, wie sie mit seinem Selbstbild vereinbar ist, der viel Oberfläche bietet, um darunter Spitzen und Kanten unterzubringen, der dem Zeitgeist immer dann ein Schnippchen schlägt, wenn er von der eigenen Legende eingeholt wird. Schrill, bunt, glamourös und androgyn verlässt er diesen Planeten als Blackstar, prätentiös unprätentiös in Richtung Sternenstaub.

Text Wolf Kampmann

„‚I‘m deranged‘: Der Vorspann zu David Lynchs ‚Lost Highway‘ war mein erster Kontakt mit David Bowie. Einer dieser Momente, in denen Text und Musik plötzlich mehr sind als ‘nur‘ ein guter Song. Ein typischer Bowie-Moment eben, von ‚Space Oddity‘ bis zu ‚Where Are We Now?‘. Auf die Wucht von ‘Blackstar‘ war ich trotzdem nicht gefasst, weder auf die Musik noch auf das eigentliche Thema. Ich habe drei sehr intensive und durchaus verstörte Tage mit dem Album verbracht, noch bevor die Nachricht seines Todes alles plötzlich schlüssig und noch viel schlimmer machte. Eine furchtbar stimmige, ungeheure und seltsam tröstliche ars moriendi. Was soll man sagen? ‘Funny how secrets travel.‘ Ein Großer ist gegangen.“

Michael Wollny, Pianist  

„Auch auf die Gefahr hin, von den echten Bowie-Fans eins übergebraten zu bekommen, muss ich an dieser Stelle gestehen, dass ich ein unfassbarer Fan von ‚Let’s Dance‘ bin. Ich habe dieses Album für mich vor gar nicht allzu langer Zeit entdeckt, noch in der Sylvester-Nacht haben wir es zu Hause gehört. Es ist perfekt. Jeder Song der Wahnsinn. Danke dir, David!“

Tobias Hoffmann, Gitarrist

„David Bowie – wandelbar und dabei stets er selbst – sanft und harsch, Mann, Frau, Wesen, Hero, zerbrechlich, geheimnisvoll, preisgebend, einladend. Mein geliebtes Schöneberg hast du mit einem Hauch von dir versehen – hab es gut da oben!“

Lea W. Frey, Sängerin

„Ich bin mit ‚Starman‘ und ‚The Man Who Sold The World‘ aufgewachsen. Als ich älter wurde, war er immer da und immer anders. Er fuhr stets volles Risiko und kam mit neuen Ideen. Gerade sein großartiges Stück ‚Blackstar‘ hat mir gezeigt, dass Verwandlung bei ihm die Dauerzustand war. Er wird mir fehlen.“

Kalle Kalima, Gitarrist

„Mich haben der exzentrische, britische Stil und das androgyne, elegante Wesen an David Bowie fasziniert, seine permanente Neuerfindung und zugleich die unverwechselbare Handschrift und Treue zu sich selbst. Das waren – vor allem während meiner Zeit als Pianistin bei den Rainbirds – inspirierende Eigenschaften eines authentischen Bühnenstars, eines lebenden Kunstwerkes.“

Ulrike Haage, Pianistin

„David Bowie hat mit John Lennon, Gil Evans und Pat Metheny gearbeitet. Als Frontmann wohlgemerkt. Er konnte mit Stilen und vor allem Klischees mit größter Lust an der Übertreibung spielen und blieb dabei immer das Original. Ich hatte ja auf eine Tour zu seinem neuen Album ‚Blackstar‘ gehofft . Die findet nun wohl in einem Paralleluniversum statt: Live On Mars.“

Rüdiger Krause, Gitarrist

„Was für ein Abgang! Zu wissen, dass du sterben wirst und dann eine Botschaft zu überbringen, die in direktem Zusammenhang mit diesem Wissen steht, finde ich groß. ‚Look out here, I‘m in heaven‘ – das verschlägt mir den Atem. Und was mich freut, tröstet und beruhigt: Was ich von dem neuen Album gehört habe, verstehe ich und mag es sehr… Es gibt aber auch einen älteren Song, der mir immer etwas bedeutete: ‚Let’s Dance‘. Liegt vielleicht an meinem Geburtsjahr, Nile Rodgers, 80er halt.“

Jonas Schoen, Saxofonist

„David Bowie ist für mich das Symbol des integren und eklektischen Musikers. Ein echter Künstler, der es geschafft hat, ohne Pathos Millionen von Leuten zu berühren, und das mit einer Musik, die offenkundig von künstlerischen und nicht kommerziellen Aspekten angetrieben war. Der unglaublich ausgeglichene, klare Sound seiner Stimme und seine Phrasierung haben mein Saxofonspiel beeinflusst, und in aller Bescheidenheit fühle ich mich ihm als Bruder im Sound verbunden. Seine fantastischen Alben kamen immer wieder mit Überraschendem, und das auf einem Niveau, das auch den Anspruch an die eigene Arbeit nach oben zog. Dass dies nun fehlen wird, ist ein immenser Verlust.“

Daniel Erdmann, Saxofonist

„David Bowie war ein Popmusiker, den viele Jazzmusiker (wie auch ich) verehrten, weil er kompromisslos seine persönliche musikalische Vision umsetzte und dabei nicht vor Experimenten zurückschreckte. Diese eigenwillige geistige Haltung steht dem Jazz nahe, und es ist umso tragischer, dass Bowie gerade stirbt, als er ein neues Album mit Jazzmusikern aufgenommen hat. So kann man nur philosophieren, wo seine musikalische Reise wohl hingeführt hätte.“

Nils Wogram, Posaunist

„David Bowie war brillant: meines Erachtens einer der wandlungsfähigsten Künstler überhaupt. Keiner hat so radikal seine Rollen verändert und gleichzeitig neue Rollen kreiert.
Bemerkenswert fand ich auch, wie geschickt er sich bei jedem Album der Kategorisierbarkeit entzog. Seine oft experimentelle Mischung aus Rhythm & Blues, Rock, Pop und Soul war nicht in Schubladen zu packen. Diese Wandlungsfähigkeit wünschte ich mir viel häufiger in unserer Zeit.“

Dejan Terzic, Schlagzeuger

„David Bowie war für mich ein Initialerlebnis, vor allem in der Weise, wie er seine Bühnen-Performances zum Gesamtkunstwerk machte und sich selbst als Kunstfigur und Mythos erfand, um gleichlaufend Leben und Kunst ineinander übergehen zu lassen.“?

Christopher Dell, Vibrafonist

„‚Five Years‘ hat mich beim ersten Hören sofort umgehauen. Die Notwendigkeit, mit der Bowie seinen genialen Endzeittraum-Text singt, ist atemberaubend. So habe ich ihn für mich entdeckt. Ständiges Forschen, Hinterfragen und Sich-neu-erfinden. Grandiose Alben mit Brian Eno. Vor einigen Jahren hat mich der Berliner DJ Paul Van Dyk ins Studio gebeten, um Gitarren für einen Song aufzunehmen. Nachdem wir mit den Akustikgitarren-Aufnahmen fertig waren, bat er mich darum, spacige, atmosphärische E-Gitarren-Flächen einzuspielen. Er meinte: ‚Du weißt ja, für wen der Song ist!‘ Ich entgegnete: ‚Nein, keine Ahnung.‘ Er sagte: ‚Für Bowie.‘ Als ich ihn ungläubig anstarrte, beharrte er: ‚Ja genau, für David Bowie.‘ So weit ich weiß, ist der Song nicht veröffentlicht worden, aber es war trotzdem eine Wahnsinnserfahrung, Gitarren für einen David-Bowie-Song einzuspielen. Allein durch dieses Bewusstsein habe ich komplett anders gespielt. Heute hörte ich im ICE ‚Blackstar‘. Alles wie immer: Notwendigkeit. Zeitlos.“

Arne Jansen, Gitarrist

„Ehrlich gesagt, habe ich mich seit David Bowies Tod erstmals so richtig mit seiner Musik beschäftigt. Darüber bin ich sehr froh, denn mir fällt auf, wie ehrlich, innovativ, vielfältig und trotz aller Neuerfindungen der Kunstfigur Bowie auch konsequent sein Schaffen ist. Ich höre in seiner Musik etwas, was ich sonst so oft vermisse: Dringlichkeit, Mut, Risiko, gleichermaßen Statements wie neue Fragen. Das inspiriert mich, meinen eigenen Weg zu gehen. Darüber freue ich mich zuallererst, bevor ich vielleicht auch ein wenig berührt bin, dass ein großer Künstler nicht mehr lebt.“

Moritz Baumgärtner, Schlagzeuger

„David Bowie ist ein Vorbild, weil er nie Angst hatte, selbst treueste Fans zu schocken und Erwartungen konsequent nicht erfüllte. Diesen Mut bringen die Wenigsten auf. Wenn schon ein Weltstar wie Bowie den Anspruch hatte, sich mit jedem Album neu zu erfinden und seine ewige Suche offenzulegen, dann sollten wir das erst recht tun und unbequem bleiben.“

Tilo Weber, Schlagzeuger

Veröffentlicht am unter 112, Feature, Heft

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