Funky Astronauten

The Heliocentrics

Ihre Klangexperimente aus Afrofunk, Spiritual Jazz, Psychedelia und Musique Concrète scheinen völlig aus der Zeit gefallen, und ihre Studiopartner sind verschrobene Eminenzen. Ein Besuch bei Jake Ferguson, dem Bassisten der Heliocentrics, die auf ihrem neuesten Streich mit Blaxploitation-Hexer Melvin van Peebles in die Tiefen des Alls aufbrechen.

HeliocentricsAls sie mich in ihr neues Studio in Dalston, einem Multikulti-Vorort im Nordosten Londons einluden, hatte ich mir etwas anderes vorgestellt. Nun sitze ich auf dem Wartebänkchen eines Community Centers, die ältere Dame an der Pforte bietet mir britisch-liebenswürdig Tee an. Dann ist Jake Ferguson am Telefon, an ihrem Laboratorium im Keller des Centers wechsle man gerade das Schloss aus, wir müssten uns in seinem Büro treffen. Statt Klangwerkstatt also nüchterner Backsteinbau, doch das nimmt nichts von der spannenden Geschichte dieser Band, in deren Nukleus Ferguson und Drummer Malcom Catto wirken.

„Ja, natürlich hat unser Name etwas mit Sun Ra zu tun“, antwortet er auf meinen Verdacht. „Indem er alle musikalischen Grenzen von den 40ern an bis in die 80er hinein kontinuierlich verschob, war er eine große Inspiration für uns, aber auch, weil er Freiheit und Disziplin miteinander vereint hat. Einerseits ist der Rhythmus für uns das große Ding, da unterliegen wir einer James-Brown-Ethik: Es muss den Groove haben. Aber andererseits schätzen wir auch eine freigeistige Haltung: Wenn wir zu fünft in einem Raum improvisieren, passiert etwas Kollektives, das größer ist als wir.“

Bekannt geworden sind die Heliocentrics 2007 mit ihrer Scheibe „Out There“, auf der noch viel Afro-Funk im Spiel war. Das hatte ihnen einen exquisiten Ruf in der entsprechenden Fangemeinde eingebracht, und als Quinton Scott von Strut Records eine Backing-Band für Mulatu Astatkes Europatour suchte, waren die Londoner erste Wahl. In diesem Jahr haben sie mit Fela Kutis Kollegen Orlando Julius ein Album veröffentlicht. Doch man kann sie um nichts in der Welt auf den Retro-Funk-Hype limitieren. Unter den Bandmitgliedern bündeln sich Vorlieben für Psychedelia, Latin, World Music, spirituellen Jazz und Bach. Jazzman Gerald hat sie deshalb 2010 mit dem ebenfalls grenzenlos gestrickten Musikethnologen Lloyd Miller für ein gemeinsames Projekt zusammengebracht.

„Wenn Journos über uns reden, dann gerne mit dem Wort ‚psychedelisch‘. Aber das führt in die Irre, mit der psychedelischen Musik der 60er haben wir nichts zu tun, ich würde uns einfach unter ‚experimental‘ fassen. Uns interessiert, wie man aus einem bestimmten Instrument ungewöhnliche Sounds herausholt, es verwandelt, indem man es anders mikrofoniert oder mixt.“

Im Arsenal der Heliocentrics begegnen sich Waterphones, Theremine, traditionelle äthiopische Instrumente. Ein Drumkit basteln sie schon mal aus Töpfen und Pfannen, und an den Bass hängen sie Metallobjekte. „13 Degrees Of Reality“ war 2013 für diese Soundscapes der eigentliche Startpunkt, mit ihrem aktuellen Output „The Last Transmission“ (Now Again/Rough Trade) haben sie die Klangwerkstatt perfektioniert und zugleich Sun Ras abstrakte Kosmologie hörtechnisch ins sehr Konkrete übersetzt. „Auf Tour schauen wir uns gerne B-Movies und SciFi-Serien der Frühzeit an, zum Beispiel Quatermass, nach der wir auch unser Studio benannt haben.“ Da haben sie mit Melvin van Peebles das perfekte Match gefunden. Der Blaxploitation-Pionier („Sweet Sweetback’s Baadasssss Song“) und Spoken-Word-Poet lieferte ihnen ein Weltraummärchen der anderen Art, in dem ein Astronaut zu fremden Welten aufbricht, sich in ein weibliches Alien aus Methangas verliebt und nicht mehr zurückkommt. Um das zu illustrieren, ging die Band in nächtlichen Sessions ganz tief in den Giftschrank.

„Wie stellt man musikalisch das All dar, in dem es ja keine Geräusche gibt? Wir haben mit polyphonen Röhren-Keyboards gearbeitet, mit einem russischen Synth, der einkommende Sounds moduliert, haben einen Moogerfooger an die Drums gehängt, sodass sie sich wie eine Rhythmusgitarre anhören, und die Sprachmelodie eines bengalischen Mittelwellensenders in Keyboard-Sounds verwandelt. Melvins einzige Auflage an uns war: ‚Don’t mess with my poem and I ain’t gonna mess with your music.‘“

Schließlich waren beide Seiten vom Ergebnis begeistert. Doch die Heliocentrics wären nicht die Heliocentrics, würden sie nicht schon zu ganz anderen Ufern aufbrechen: Für 2015 kündigen sie ein Indierock-Album mit der slowakischen Sängerin Just B an, sowie einen Soundtrack zu einer Doku über zwei Typen aus San Francisco, die ihr eigenes LSD entwickelten. „Alles, was seltsam, ‚otherworldly‘ ist, interessiert uns“, grinst Ferguson.

Text
Stefan Franzen

Veröffentlicht am unter 106, Feature, Heft

Deutscher Jazzpreis 2024