Berlin: The Clock

The Clock„The Clock“Noch bis zum 25. Januar läuft in der Neuen Nationalgalerie in Berlin Christian Marclays Film-Installation „The Clock“. Wie Zadie Smith es in einer Besprechung in der „New York Review of Books“ auf den Punkt brachte, ist Marclays Mammut-Montage „ein 24 Stunden langer Film, der einem die Uhrzeit sagt“. Sie besteht hauptsächlich aus einem Zusammenschnitt unzähliger Großaufnahmen von Uhren – von der Rolex bis zum Glockenturm – die dafür in einer titanischen Fleißarbeit aus unzähligen Spielfilmen zusammengesammelt wurden. Manchmal befindet sich die Uhr im Hintergrund des Bildausschnitts, manchmal wird die Uhrzeit auch nur erwähnt. Jedenfalls folgt stets auch eine Reaktion der die Uhr betrachtenden Filmfigur, was zu enormen Sprüngen kreuz und quer durch mehr als 100 Jahre Filmgeschichte führt, von Hollywood nach Japan, von „Mary Poppins“ bis „High Noon“. Die jeweilige Uhrzeit aber entspricht stets der lokalen Zeit am Ausstellungsort und damit minutiös der Chronologie eines Tages. Der Film beginnt um Mitternacht, endet 24 Stunden später – und beginnt, wenn man so will wieder von vorn. Das Prinzip ist so simpel wie überwältigend, und die typische, überlieferte Publikumsreaktion ist, länger zu bleiben als beabsichtigt, wenn nicht gar: um jeden Preis den ganzen Film zu Ende sehen zu wollen.

Der 1955 in Kalifornien geborene Schweizer Staatsbürger Marclay ist vor allem als Musiker, Komponist und bildender Künstler bekannt. In seinem multidisziplinären und multimedialen Werk spielt das Vinyl von Beginn an eine prominente Rolle, und Marclay gilt als Pionier auf dem Gebiet des postmodernen DJ-Dekonstruktivismus. So war seine Veröffentlichung „Record Without A Cover“ (Recycled Records) 1985 darauf angelegt, sich durch individuelle Abnutzung zu einer Reihe von Unikaten zu entwickeln. In Live- und Studio-Zusammenhängen trat er oft als Turntableist auf. Collage, Montage und Rekontextualisierung gehören zu den Techniken, die er aus den Bereichen Audio und Bildender Kunst in sein filmisches Werk „The Clock“ übertrug und damit offenbar an etwas rührte, das größer war als erwartet.

Das komplette Filmarchiv der Welt diente als Samplequelle für einen radikal verengten Blick auf das unerbittliche Voranschreiten der Zeit selbst – ein fruchtbarer Boden für kulturelles Gedächtnistraining und philosophische Betrachtungen aller Art. Dafür gewann der Film einen Goldenen Löwen bei der Biennale in Venedig 2011. Die Premiere fand 2010 in einem eigens dafür errichteten Kino in der White Cube Gallery in London statt, seitdem wurde die Installation in Paris, São Paolo, Sydney, Yokohama, Seoul und New York gezeigt. Nun ist sie im Erdgeschoss der Neuen Nationalgalerie erstmals in Berlin zu sehen. Allerdings nicht von außen, und leider auch nicht rund um die Uhr, sondern nur zu den immerhin verlängerten Öffnungszeiten (Dienstag bis Sonntag 10 bis 20 Uhr). Eine vollständige 24-Stunden-Sitzung findet nur noch einmal, am 2. Januar 2026 statt

Weiterführende LInks
„The Clock“

Text
Eric Mandel
Foto
Neue Nationalgalerie/David von Becker

Veröffentlicht am unter News

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