RIP: Ravi Shankar

Ravi ShankarZum Tode von Ravi Shankar

„Auch im größten Freiraum, den er sich gestattete, blieb mein Vater stets im Bezirk der klassischen indischen Musik. Ich fühle mich seiner Lehre verpflichtet, aber nur auf einer persönlichen Ebene“, sagte Anoushka Shankar 2007 über ihren Vater im Jazz-thing-Interview. Ravi Shankar war in gewisser Hinsicht ein Paradoxon: Er, der an den Grundfesten der indischen Musik immer festhielt, hat unter all seinen Landsleuten doch am meisten dafür getan, dass sie sich im Westen mit anderen Stilen mischte. 92-jährig ist Pandit Ravi Shankar am 11. Dezemberim kalifornischen San Diego gestorben.

1920 in der heiligen Stadt Benares geboren, wächst er in bescheidenen Verhältnissen auf. Als Jugendlicher tritt er mit dem Tanzensemble seines Bruders Uday in Europa auf. Sein Lehrmeister auf der nordindischen Langhalslaute Sitar wird einer der größten Musikgurus Indiens aller Zeiten, Allaudin Khan. Im Laufe seines Lebens wird Shankar auf diesem Instrument stille Revolutionen auslösen: Innerhalb des Raga-Systems mischt er nord- und südindische Tradition, führt bislang unbekannte Skalen ein, sorgt für rhythmische Innovationen. Mit 19 gibt er seine Premiere in Indien und beginnt bereits wenig später als Komponist für die Filmindustrie zu arbeiten. In den 1950ern bekleidet er den Posten des Musikchefs bei „All India Radio“. 1956 gastiert er neben London, Paris und Moskau auch bereits in Deutschland, im gleichen Jahr spielt er seine erste LP „Three Ragas“ ein.

Es sind jedoch die 1960er-Jahre, die seinen Ruhm begründen. In Kalifornien teilen die Byrds das Studio mit ihm, begeistern sich für seine Musik – und machen ihn, angeblich auf einer LSD-Party bei Zsa Zsa Gabor, mit ihrem Kollegen George Harrison bekannt. Der Beatle, der zeitlebens ein musikalischer Partner bleiben wird, geht 1966 für sechs Wochen nach Indien, um sich im Sitarspiel unterweisen zu lassen. Von Harrisons Dilettieren hält der Lehrer nicht viel, doch die Resultate finden ihren Niederschlag auf dem „Sgt. Pepper’s“-Album. Shankars neuer Popularitätsschub mündet in Auftritte auf den Festivals von Monterey und Woodstock. Die Hippies vereinnahmen ihn, doch er distanziert sich, geschockt von ihrer Kleidung und ihrem Drogenkonsum, verriet er einst dem „Rolling Stone“. Eine Persönlichkeit der Weltgeschichte wird er gleichwohl: In den 1970ern spielt er vor US-Präsident Gerald Ford im Weißen Haus, bekleidet später gar einen Posten im Oberhaus des indischen Parlaments. Er komponiert für das London Symphony Orchestra, für Yehudi Menuhin (die Platte „West Meets East“ bekommt 1968 einen Grammy) und den Minimalisten Philip Glass. Auch im Jazz hinerläßt er Spuren: John Coltrane beeindruckt er so sehr, dass dieser seinen Sohn nach ihm benennt.

An Bekanntheit haben ihn in seinen letzten Lebensjahren seine zwei Töchter beinahe übertroffen: Norah Jones avancierte zum Superstar des Jazz, ihre Halbschwester Anoushka setzt den klassischen Weg auf der Sitar fort, tut sich aber auch mit Popprominenz wie Sting zusammen. Mit ihr misst er sich nun posthum: Sowohl ihr aktuelles Album als auch „The Living Room Sessions Vol. 1“, des Vaters letzte Einspielung, sind 2013 für den Weltmusik-Grammy auf der Liste. Aus dem Munde Menuhins stammt vielleicht das größte Lob Ravi Shankars: „Für mich können sein Genie und seine Menschlichkeit nur mit denen von Mozart verglichen werden.“ Text: Stefan Franzen

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Michael Collopy

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