Tamara Lukasheva

Von Odessa nach Köln

Oktober 2010: Seit vier Wochen lebt Tamara Lukasheva in der neuen Heimat, aber ihre erste Band hat sie schon gegründet. Die Sängerin und Komponistin kommt ziemlich zielstrebig und selbstbewusst zur Sache, auch wenn es für das erste Album des Quartetts dann doch ein paar Jahre gebraucht hat. Die zierliche Debütantin aus der Ukraine nimmt es mit Humor.

Tamara Lukasheva – Patchwork Of Time (Cover)

Wenn Tamara Lukasheva zuweilen Elemente alter ukrainischer Folklore aufgreift, um ihre eigene Musik zu entwickeln, bleibt sie längst nicht bei den Wurzeln. Sie experimentiert mit ihnen frei von Schranken und Schubladen. Anklänge an Fusion mögen auftauchen, europäischer Impressionismus klingt an, sogar in einem furiosen Duett mit ihrem Schlagzeuger weht womöglich noch ein liedhaftes Motiv herüber. Ob die Komponistin in ihren Songs mit Worten spielt oder lediglich auf den Klang ihrer Stimme baut und die Kunst des Scatgesangs weiter ausbaut, diese Musik steckt stets voller Überraschungen, die inzwischen auch in der neuen Heimat ihre Fans gefunden hat.

„Ich wollte Neues entdecken, deshalb wollte ich anderswo weiterstudieren und als mir ein befreundeter Pianist empfahl, nach Deutschland zu gehen, habe ich es wahr gemacht.“ Tamara Lukasheva lacht: „Das war natürlich ein ganz großer Schritt, besonders wenn man die Sprache noch nicht beherrscht!“ Längst moderiert die junge Frau aus Odessa ihre Konzerte in bestem Deutsch, mit charmantem Akzent.

Aufgewachsen ist Tamara Lukasheva in einem musikalischen Elternhaus – die Mutter ist Pianistin im klassischen Fach, der jazzende Vater spielt Saxofon, beide unterrichten in der Metropole. Bereits mit elf ist die kleine Tamara mit den Eltern aufgetreten, „auf Parties! Das ist sozusagen die dunkle Seite in meinem Leben“, kichert die blonde Sängerin, „aber man musste ja irgendwie sein Auskommen verdienen, und Ende der Neunziger war das Leben in der Ukraine nicht einfach.“ Wenig später hörte sie zum ersten Mal eine Aufnahme von Diane Schuur mit Bigband, die Initialzündung für das Mädel. „Ich konnte nicht verstehen, was und wie sie das machte – ich war ja noch so klein –, aber so wollte ich singen können.“ Auftritte mit Swingnummern und Standards machten sie bekannt, schließlich nahm der Gründer des Jazzfests Odessa die junge Sängerin unter seine Fittiche, der Pianist und Komponist Yuri Kuznetsov. Den Eltern hat Tamara auf ihrem Debütalbum „Patchwork Of Time“ (Double Moon/in-akustik) ein Lied gewidmet.

Nach Konzertreisen durch die Ukraine, Russland und Bulgarien reifte der Entschluss, die Studien anderswo fortzusetzen. Sie entschied sich für Köln, nachdem sie auch an den Hochschulen in Berlin, Essen und Leipzig hätte anfangen können. Köln. „Liebe auf den ersten Blick“, sagt Tamara. Keine Ahnung, wieso. Aber hier wollte sie bleiben. Bei der Aufnahmeprüfung lernte sie den Pianisten Sebastian Scobel kennen, der wiederum brachte Kollegen von den Jamsessions mit: Bassist Jakob Kühnemann und Schlagzeuger Dominik Mahnig, fertig war das Tamara Lukasheva Quartett.

„Es war lustig. Ich konnte noch nicht gut Deutsch und wusste zudem auch nicht, was ich mit den drei Jungs eigentlich machen wollte. Es hat etwas gedauert, bis es musikalisch funktionierte – menschlich verstanden wir uns aber umso früher. Dass es mit der Musik etwas dauerte, lag hauptsächlich an mir. Nun kommt nach fünf Jahren die CD raus. Nicht gerade schnell“, frotzelt die Bandchefin.

Das Album „Patchwork Of Time“ trägt einen treffenden Titel: Jedes Stück für sich enthalte eine kleine Geschichte, alle zusammen ergeben eine Sammlung von Erlebnissen, Erfahrungen, Zeitausschnitten, sagt Tamara Lukasheva. „Wenn ich komponiere, folge ich einem Impuls und versuche diesem eine Form zu geben. Ich arbeite dann Noten aus für die Jungs, bringe fertige Noten mit. Da bin ich ziemlich diktatorisch.“ Natürlich nimmt die Sängerin die Vorschläge, die Klangfarben und die besonderen Spielcharaktere ihrer „Jungs“ in den Entwicklungsprozess der Songs auf. So gestaltet Jakob Kühnemann seinen akustischen Basssound des Öfteren mit angerissenen, kratzenden Tönen, der Pianist wechselt vom Klavier zu fetten Fusionsounds oder gläsernem E-Piano, während der Drummer sich mit Lukasheva zur funky-flotten Call & Response trifft. Für einige Songs hat das Quartett die Klangfarben um weitere Musiker ergänzt, mal gesellt sich eine Violine hinzu, mal tanzt die Sängerin mit glockenheller Stimme einen bezaubernden Reigen mit der Posaunistin Shannon Barnett.

„Ich freue mich, wenn ich die Leute mit meiner Musik in eine positive Stimmung versetzen kann. Aber wenn ich irgendwann mal eine ganz traurige Platte machen will, dann mache ich auch das“, sagt Tamara Lukasheva und lacht ihr ansteckendes Lachen.

Text
Uli Lemke

Veröffentlicht am unter 112, Heft, Next Generation

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