Diego Piñera

13 statt 4

Schlagzeuger mögen zur Standardbesetzung der meisten Jazzbands zählen; als Leader und Komponisten jedoch, erst recht als Musiker mit eigenem Album, machen sie sich eher rar. Kein Wunder also, dass mit Diego Piñera erst das zweite Exemplar der trommelnden Spezies die JTNG-Reihe beglückt. Doch mit dem jungen Mann aus Uruguay haben wir einen Volltreffer gelandet.

Diego Piñeira – Strange Ways (Cover)Der übliche Latin Jazz ist das nun wahrhaftig nicht, was da aus den Boxen dröhnt. Von Salsa, Rumba oder Son ist die Musik dieses Drummers und Komponisten so weit entfernt wie der Wohnort Diego Piñeras von seiner alten Heimat. Der 33-jährige Irrwisch aus Montevideo, der eher wie gerade mal 20 wirkt, lebt seit etwa zehn Jahren in Berlin.

„Natürlich zählt die klassische Clave zu meinen Wurzeln, natürlich ist Latin in meiner Musik enthalten, aber ich suche nach neuen Wegen“, sprudelt es aus dem Perkussionisten heraus. Bei den Gitarre spielenden Eltern wurde er einst mit Candombe und Milonga betüddelt, und schnell sprach sich das Talent des kleinen Diego herum.

„Der Gitarrenlehrer von meiner Schwester Daniela fand, dass ich was draufhätte. Wie ich so beim Zuhören den Beat mitklopfte, das sei nicht normal für einen Vierjährigen. Also bekam ich einen Lehrer. So hat alles angefangen“, erinnert sich Piñera.

Der Weg führte schnell zu einem ganz Großen der Musikszene Uruguays: Osvaldo Fattoruso, der als einer der besten Drummer der südamerikanischen Fusion- und Rockszene galt, nahm den Jungen 13 Jahre lang unter seine Fittiche. Nach Stationen und Studien in Havanna, Boston und Leipzig landete Diego Piñera in Berlin. Projekte mit Katja Riemann, Tony Lakatos, Paul Brody und anderen standen auf seinem Arbeitsplan, in den letzten beiden Jahren war er nach langer Zeit auch wieder in der alten Heimat und stellte alten und neuen Fans auf dem Jazzfestival von Montevideo seine musikalischen Ideen vor.

„Ganz besonders interessiere ich mich für diese spezielle Ecke, wo es um Odd Meters geht, um krumme Takte, wie man so sagt. Polyrhythmische Angelegenheiten, harmonisch komplexe Baustellen, das sind die Sachen, die mich interessieren!“

Diego PiñeiraDiego Piñera zählt ein paar bekannte Namen aus der New Yorker Szene auf, denen er sich da verbunden fühlt: Danilo Perez, Miguel Zenon, David Sanchez, natürlich Antonio Sanchez. Mit vielen der Nuyoricans hat er selbstverständlich schon gejammt.

„Krumme Takte. Es gibt auch in Deutschland ein paar Leute, welche in dieser Ecke forschen. Aber nicht so viele“, stellt der Mann aus Montevideo nüchtern fest. Einer von ihnen ist auf jeden Fall Sebastian Schunke, in dessen Band Piñera seit einigen Jahren agiert. Kürzlich ist Schunkes „Genesis. Mystery and Magic“ (nWog/Edel) erschienen, „ein wahres Fest für die Ohren“, wie Rolf Thomas in Jazz thing befand. Nicht anders dürfte das Urteil über das Debüt des Drummers und Komponisten Diego Piñera in der JTNG-Reihe ausfallen. „Strange Ways“ (Double Moon/New Arts Intl.) ist nicht sein erstes Album, aber es ist sein erstes international vertriebenes.

Mit dem Saxofonisten Peter Ehwald, Tino Derado am Klavier und Bassmann Phil Donkin hat der Drummer das Album aufgenommen, und er hat seine Stücke im Blick auf die Mitglieder seines Quartetts geschrieben.

„Ich habe bei Sebastian Schunke gelernt, wie wichtig das ist. Der schreibt exakt für die Musiker, die er zu seinen Aufnahmen einlädt.“ Und, ganz wichtig: „Außerdem habe ich ein paar Sessions, Konzerte organisiert, bevor es ins Studio ging. Deshalb hat das Quartett bereits einen richtigen Bandsound entwickelt.“

Man spürt diese Verbindung zwischen den Musikern. Es swingt kompakt, hypnotische Grooves liefern das Fundament für kraftvolle Töne aus Ehwalds Sax, munter kokettiert das Quartett mit der klassischen Jazzgeschichte und spielt mit boppigen Linien, zwischen lyrischen Momenten und duftender Melancholie findet sich Raum für mächtige Hommagen an die Sechzigerjahre. Mittendrin ein lustiger Wake-up-Call und mit „Viernes 13″ ein beziffertes Beispiel für die „krummen Takte“ des Diego Piñeras. „Freitag der 13te“, so der Titel auf Deutsch, ist nicht nur einem Tag gewidmet, der besonders im spanischsprachigen Raum für Gänsehaut sorgt.

„Ich habe den Song über eine Clave hinweg komponiert. Aber statt das Pattern einfach auf die Vier zu schreiben, habe ich das in 13/4 gemacht. So ist mein Bezug auf die Traditionen. Sie sind da, aber sie sind weit weg.“

Und als ob er das fett unterstreichen will, hat Piñera mit „White Spring“ einen besonderen „Bonus Track“ untergebracht. Es ist nämlich sein erstes Werk für Streicher und Band, ein klangvolles Experiment, wo klassische Geschultheit mit begeisterter Affinität zur Improvisation einhergeht. „Hören Sie mal, die spielen nicht einfach nur vom Blatt ab“, freut sich der Komponist.

Text
Uli Lemke

Veröffentlicht am unter 105, Heft, Next Generation

Deutscher Jazzpreis 2025