Jazztage: Mapping Music in Leipzig
Jelena KuljićKartografie ist die Wissenschaft der Darstellung von Planeten als topografische Karten, mit denen raumbezogene Informationen veranschaulicht werden, um sie der oder dem Betrachter/-in verständlich zu machen. Auch Musik lässt sich kartieren – sei es mit Partituren, um musikalische Ereignisse zu verschriftlichen, sei es mit Handzeichen, um musikalische Prozesse aus dem Stegreif zu strukturieren, oder sei es konkret, wenn Musik auf ihre geografische Herkunft bezogen wird. Den diesjährigen Leipziger Jazztagen hat man das Motto „Mapping Music“ mitgegeben. Zum einen will man vom 11. bis 18. Oktober der Frage nachgehen, wie sich Musik verbildlichen lässt und welche Kulturtechniken dazu notwendig sind, zum anderen analysieren, wie Musik selbst zur Projektionsfläche der Welt werden kann. Zudem reisen eine Woche lang Instrumentalist/-innen aus aller Welt in diese ostdeutsche Großstadt und haben ihre jeweiligen Traditionen musikalischer Praxis mit im Gepäck.
Vor diesem Hintergrund lässt sich die neue Band der gebürtigen Serbin Jelena Kuljić verstehen, die mit eigenen Songtexten und vertonten Gedichten von Lyriker/-innen aus dem ehemaligen Jugoslawien die Vorstellung von Heimat und Identität hinterfragt. Darum geht es nämlich der Sängerin mit Fundamental Interactions: den Wechselwirkungen zwischen der eigenen Biografie und der Kultur ihrer Herkunft nachzuspüren und mit der Musik ihre ästhetischen Prägungen herauszuarbeiten. Auch die in Osnabrück lebende, gebürtige Teheranerin Shabnam Parvaresh spürt mit ihren Klarinetten in gewisser Weise einer „Folklore Imaginaire“ nach. „Sheen“ ist der 16. Buchstabe im persischen Alphabet, zudem ist es der Anfangsbuchstabe ihres Vornamens. Mit ihrem Sheen Trio mit der E-Gitarristin Ula Martyn-Ellis und dem Schlagzeuger Philipp Buck begibt sie sich auf einen ruppigen Parforce-Ritt über unterschiedliche Stilistiken und schlägt eine Brücke von der Volksmusik ihres Herkunftslandes über Rock und Jazz westlicher Prägung bis hin zur musikalischen Avantgarde.
Um Identität geht es auch dem Saxofonisten Immanuel Wilkins, der mit seinem Quartett die Hintergründe der afroamerikanischen Diaspora offenzulegen versucht. Ganz konkret um geografische und politische Grenzen dreht es sich beim Kooperationsprojekt mit dem Festival Politik im Freien Theater, wenn die estnische Pianistin Kirke Karja erst ihr Konzert spielt, bevor sie über die nicht unbelastete Beziehung ihrer Heimat zum Nachbarn Russland befragt wird.
ShabakaDann noch unter anderem in Leipzig zu erleben: die in Brooklyn lebende Mexikanerin Patricia Brennan mit einem unbegleiteten Solokonzert auf dem Vibrafon, der afrobritische Flötist Shabaka im Duo mit dem südafrikanischen Pianisten Nduduzo Makhathini, die Münchner Baritonsaxofonistin Valentina Oefele mit ihrem Septett Baritonia, der Norweger Stian Westerhus solo auf der E-Gitarre im Völkerschlachtdenkmal, der Bassist Dave Holland mit seinem Trio in der UT Connewitz und das Bobo Stenson Trio ebenso in der Oper Leipzig wie der Balafonvirtuose Aly Keïta und Potsa Lotsa XL um die Berliner Altsaxofonistin Silke Eberhard.
Außerdem wird wieder der „Leipziger Jazznachwuchspreis der Marion Ermer Stiftung“ vergeben, der diesmal an Lyn & The Fingers geht: „Die Band um die Sängerin und Komponistin Nora Lyn Handschuh ist ein hervorragendes Beispiel für das kreative Potenzial der jungen Leipziger Szene“, so die Jury. Mit der Premiere des Films „Being Hipp: First Lady Of European Jazz“ wird dem 100. Geburtstag der Leipziger Jazzpianistin Jutta Hipp gedacht, ein „Jazz for Kids“-Programm nimmt sich der berühmten Erzählung „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry an und das diesjährige Labor gibt an drei Tagen allem Innovativen, Risikobehafteten und Unfertigen einen breiten Raum.
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Leipziger Jazztage