Aus dem Müll ins All

Mwongbana Star

Ein neuer Stern geht auf – so die freie Übersetzung von Mbongwana Star. Was da am Horizont emporklettert im Nachthimmel über dem Kongo, ist ein Projekt um ehemalige Mitglieder der Band Staff Benda Bilili und Produzent Doctor L. Ihre Scheibe „From Kinshasa“ (World Circuit/Indigo) möchte europäische Stereotypen von afrikanischer Popmusik canceln.

Coco (Foto: Liam Farrell)
Oft stößt man derzeit auf den Flirt Afrikas mit Science Fiction. Gerade steckt die CD von Mbongwana Star in der Post, als ich zur Ausstellung „Making Africa“ im Vitra Design Museum Weil am Rhein aufbreche: Hier schickt die ghanaische Regisseurin Frances Bodomo eine Albino-Afronautin auf den Mond, und auf Collagenbildern lässt das Modelabel Ikiré Jones seine Mannequins durch das Jo‘burg und Lagos des Jahres 2081 laufen. Futuristisches erwächst dabei oft aus Schrott: etwa in den Brillenskulpturen von Cyrus Kabiru oder der kenianischen Installation „Jua Kali City“, die das Wirtschaftsafrika und den Slum in zwei gigantischen Zahnrädern symbolisiert. Es passt wunderbar, sich während des Schlenderns durch die Exponate die Tracks von Mbongwana Star auf die Ohren zu tun: Sie sind das akustische Abbild zu diesem improvisatorischen Durchdringen von Abfall und Zukunft.

„Das Projekt hat sich selbst konstruiert“, erzählt der irische Parisien Liam Farrell alias Doctor L. „Es ist der Sound der Rue Kato von Kinshasa, wo sich Musik, Happenings und Installationen parallel abspielen. Hier erschaffen die Straßenkinder und Behinderten ihre Zukunft. Kunst ist hier nicht ein bourgeoises Freizeitvergnügen wie bei uns oder Mäzenatentum wie bei den Griots. Es ist Kampf ums Überleben. Diese Szene gleicht dem New York der Achtziger, mit der Freiheit, die damals der Rap ausgelöst hat. Unsere Mission ist es, darauf aufmerksam zu machen.“

Cubain (Foto: Renaud Barret)

Die Rue Kato ist in Europa bekannt geworden, als Renaud Barret und Florent de la Tullaye einen Dokufilm über die Band Staff Benda Bilili gedreht haben, über ihren Aufstieg von obdachlosen Gehandicapten zu Stars der Weltmusikszene. Zwei der Sänger von Staff, Coco Ngambali und Theo Nzonza haben sich 2013 auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten ausgeklinkt. Über die beiden Dokufilmer fanden sie und weitere Musiker an Gitarre und Perkussion zu Farrell, der Ende der Neunziger bekannt wurde, als er Tony Allens „Black Voices“ produzierte. Und über ein gesundes Selbstbewusstsein verfügt.

„‚Black Voices‘ bestand ursprünglich aus zweieinhalb Tracks. Tony war damals völlig unbekannt und spielte in einem Keller unverdaulichen Jazzrock. Fucking horrible! Ich dagegen hatte damals überall Coverstories. Weil ich der Nachbar von Tony in Paris bin, habe ich mich des Materials angenommen und alle Instrumente eingespielt.“

Es drängt sich beim Hören der Verdacht auf, dass die Songs von Mbongwana Star unter ähnlich paternalistischer Knute entstanden sind, als Farrell die Demobänder der Kinshasa-Sessions in seine Klause nach Paris mitnahm. Genau bekommt man das nicht heraus, denn er gestaltet das Interview eher als rhapsodischen Vortrag über die Bevormundung Afrikas durch Europa denn als Auskunft auf Fragen.

Mbongwana Star (Foto: Michel Winter)Fest steht, dass das Resultat auf „From Kinshasa“ durchaus kurzweilig ist: In „Shégué“ wird der geschmeidige Soukous-Rhythmus psychedelisch eingebettet, treibend-tribale Grooves beherrschen „Nganshé“ und „Suzanna“, knatternde Blechtrommeln paaren sich mit Funk in „Masobéle“. Die stärksten Momente sind zweifellos diejenigen, wenn die hohen Stimmen von Coco und Theo sich in den Schichten aus Schrottpercussion, monströsen Disco-Keyboards und Effekten behaupten können. Warum dieses krachige Werk ausgerechnet auf dem doch eher Vintage-orinetierten Label World Circuit von Nick Gold erscheint, kommentiert der Doctor so:

„Wir alle brauchen eine Veränderung, auch Nick. Er hat mir gesagt, dass das die beste Platte ist, die er seit zehn Jahren in Händen gehalten hat. Er hat sein Ego weggepackt und diesem Projekt auf volles finanzielles Risiko zugestimmt.“

Momentan arbeitet die Band an der Livepräsentation der Songs. „Da entstehen dann abstrakte technoide kongolesische Rock-Strukturen draus, die auch in zwanzig Minuten experimentellem Noise enden können“, verrät Doctor L. Die Gefahr eines Kulturschocks sieht er nicht, wenn er die Musiker nach Europa bringt. „Der Kongo ist immer noch eine brutale Diktatur und ein großes Gefängnis für diese Straßenkünstler. Berlin und Paris dagegen kennen sie durchs digitale TV besser als Kinshasa.“

Fluchtphantasien auf der Rue Kato beziehen sich tatsächlich nicht auf Europa, sondern greifen gleich nach den Sternen. Im Video zur Single „Malukayi“ läuft ein Performancekünstler namens „The Congo Astronaut“ durch die Nacht. Kein Zweifel, für Afrika ist SciFi-Ästhetik längst Gegenwart statt Moderne. Dass der Treibstoff für die Mbongwana-Rakete noch in Paris eingefüllt wird, wäre gar nicht nötig.

Text
Stefan Franzen
Foto
Renaud Barret, Liam Farrell, Michel Winter

Veröffentlicht am unter 109, Feature, Heft

Deutscher Jazzpreis 2024