Fieldwork

Embracing Difference

17 Jahre ist es her, dass die New Yorker Band Fieldwork sich nach mehreren Besetzungswechseln auf dem Album „Door“ in der Besetzung Vijay Iyer (Piano), Steve Lehman (Saxofon) und Tyshawn Sorey (Schlagzeug) traf und tatsächlich Türen öffnete – von Steve Colemans M-Base-Ästhetik und Muhal Richard Abrams in viele Richtungen elektronischer Popmusik bis hin zu Neuer Musik. Das Album und die anschließende Tour wurden begeistert aufgenommen, doch dann war erst einmal Schluss mit der Feldarbeit. Unter dem Titel „Thereupon“ (PI Recordings/Harmonia Mundi) kehrt das Trio nun furios zurück.

Fieldwork (Foto: Lynne Harty)

Es ist wie eine Zeitreise, die gleichzeitig in Zukunft und Vergangenheit führt. Die Magie von Fieldwork entfaltet sich auf Anhieb, als wären seit dem letzten Album nur wenige Monate vergangen. Und doch haben die drei Mitglieder viel Ballast abgeworfen. Sie müssen nichts mehr beweisen, sondern gehören mittlerweile separat zu den Fixgrößen der amerikanischen Jazzszene. Das kommt der Musik auf „Thereupon“ zugute. „Es gab in der Zwischenzeit mehrere Versuche, ein weiteres Fieldwork-Album aufzunehmen, aber irgendwie war nichts davon zufriedenstellend“, fasst Vijay Iyer die Interimsjahre zusammen.

„Trotzdem haben wir in verschiedenen Konstellationen zusammengearbeitet, zum Beispiel in meinem Sextett. Unser Verhältnis fühlt sich nicht wie das von Kollegen an, sondern als wären wir Cousins. Damals glaubten wir, unglaublich viel beweisen zu müssen. Kompositorisch hatten wir sehr hohe Ansprüche. Wir schrieben Dinge, von denen wir selbst nicht wussten, wie wir sie überhaupt spielen könnten. Das war auf Dauer sehr brutal. Seitdem haben wir alle viel dazugelernt.“

Dass die Reunion so lange auf sich warten ließ, führt Iyer auf die grundsätzliche Erwartung der Jazzindustrie in den USA zurück. Dort sei man nicht so sehr an Bands interessiert, sondern eher an Einzelmusikern und deren Projekten. Selbst bei Bands gehe es eher um den einen Leader oder die Frontfigur. Mit einem Kollektiv könne man aber nicht umgehen. Steve Lehman sieht noch einige andere Gründe für die lange Pause zwischen „Door“ und „Thereupon“.

„Jeder von uns wurde immer etablierter und bekam damit auch mehr zu tun. Es wurde zusehends schwieriger, unsere Zeitpläne zu koordinieren. Außerdem leben wir nicht mehr in derselben Stadt, sondern Vijay ist in New York, Tyshawn in Philadelphia, und mich hat es nach Los Angeles verschlagen. Aber da wir auch in anderen Konfigurationen zusammenarbeiten, fühlten wir vielleicht nicht so sehr den Drang, Fieldwork zu reaktivieren. Dazu kommen so langweilige Alltagsdinge wie Familien und Kinder unterschiedlichen Alters. Zumindest live gab es einige Auftritte als Fieldwork.“

Als man dann nach mehr als anderthalb Jahrzehnten wieder zusammenkam, um endlich ein neues Album aufzunehmen, habe es sich nicht wie eine derart lange Pause angefühlt, da man ja ständig miteinander zu tun hatte. Besser als in der Vergangenheit gelingt dem Trio der Spagat, die individuellen Stimmen der drei Mitglieder transparent zu machen und zugleich wesentlich kompakter zu klingen als auf der letzten Platte.

„Es war 2023, als wir gemeinsam beschlossen, ein neues Repertoire für die Band zu erarbeiten“, so Lehman. „Ich hatte eine Residenz in Philadelphia, wo Tyshawn lebt, und da er von uns die jüngsten Kinder hat, beschlossen wir, das Album dort aufzunehmen, um es ihm leichter zu machen. Wir spielten ein paar Gigs, probten ein paar Tage und wiederholten das ganze Procedere ein Jahr später. Dann nahmen wir das Album auf. An unserer musikalischen Interaktion hat sich über all die Jahre nicht viel geändert. Ich persönlich spürte etwas weniger Druck, jedem Stück ein Konzept zugrunde legen zu müssen. Ich wollte einfach nur auf diesen bestimmten Parametern aufbauen, die zwischen uns funktionieren.“

Es gibt aber mindestens einen weiteren Unterschied zwischen „Thereupon“ und früheren Fieldwork-Einspielungen. Mit Songs wie „Embracing Difference“, „Propaganda“ oder „Fire City“ nimmt die Band Bezug auf die aktuelle Lebenssituation in den USA. Steve Lehman sieht darin ein besonderes Anliegen Vijay Iyers. Der Pianist betont, dies sei keine intellektuelle oder konzeptionelle Entscheidung gewesen.

„Es entspricht einfach meiner Lebenserfahrung in den USA, aber auch in Europa. Als farbiger Musiker wird man am Flughafen immer noch anders behandelt als weiße Reisende. Und das setzt sich in alle andere Lebensbereiche fort. Die alten Vorbehalte bestehen noch, und das bekommen wir jeden einzelnen Tag in unserem Leben zu spüren.“

Text
Wolf Kampmann
Foto
Lynne Harty

Veröffentlicht am unter 161, Feature, Heft

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