Benjamin Schatz
Ein Klavier klingt überall
Jazz thing Next Generation Vol. 38
Auf ihrer rastlosen Schatzsuche in der deutschen Jazzszene sind die Scouts der „Jazz thing Next Generation“ diesmal in Österreich fündig geworden. Dort, im warmen Humus der Wiener Kulturszene, hat sich ein durchaus schon geschliffener Piano-Diamant aus dem Schwarzwald eingenistet, der wegen seiner frischen, undogmatischen Herangehensweise aus dem Rahmen fällt. Dass der Mann auch noch Schatz heißt, genauer gesagt Benjamin Schatz, muss dabei wohl mehr als nur ein Zufall sein.

Nicht der Big Apple, nicht Berlin oder andere zeitgeistige Standortwünsche junger Jazzmusiker: Für den 29-jährigen Pianisten musste es ausgerechnet die österreichische Metropole sein, die bisweilen als Welthauptstadt der Melancholie gilt, in der Entschleunigung oberste Bürgerpflicht sein soll und wo ein Piefke grundsätzlich schräge Blicke auf sich zieht. Nichts als Vorurteile, kontert Schatz.
„Ich kenne nur nette Leute, die mich so akzeptieren, wie ich bin, gehe jede Woche in den Musikverein, um mir klassische Konzerte anzuhören. Für den Jazzclub Porgy & Bess habe ich mir sogar eine Jahreskarte gekauft, ich kenne eine ganze Reihe von Musikern in meinem Alter, mit denen man regelmäßig spielen kann. An jeder Straßenecke gibt es Musik.“
Hier sei einfach alles „leiwand“. „Es geht sich aus“, wie der Wiener zu sagen pflegt. Seit gut zweieinhalb Jahren schlägt Benjamin Schatz nun schon hier seinen Klavierdeckel auf – nach Leipzig die nächste Stadt voller Kultur und Geschichte. Auf einer Herrentoilette hat er sogar schon sein absolutes Lieblingsspielzeug entdeckt. „Doch, echt wahr! In der Passage am Karlsplatz steht ein Klavier. Das Ganze nennt sich Operntoilette. Die Tasten sind kaputt, das Elfenbein abgeblättert. Ich habe versucht, mal darauf zu spielen. Ein paar Töne kommen raus.“

Ganz klar: Sein klassisches Klavierstudium an der Musikhochschule Trossingen, an der California State University in Long Beach sowie an der Musikhochschule Leipzig bei Professor Christof Taubert dringt durch jeden Song, nicht zuletzt wegen der hochfeinen Anschlagskultur des Protagonisten. „Aber was ich überhaupt nicht mag, ist so eine undefinierte Mischung aus Klassik und Jazz. Im Grunde genommen geht es mir vor allem darum, meine Musik zu realisieren“, betont Schatz. Und eigentlich käme er ja sowieso aus der Jazzecke, frühkindlich geprägt durch entsprechende Beschallungsmaßnahmen im Elternhaus, Louis Armstrong, das übliche Pflichtprogramm eben. Doch weil Papa und Mama schon bald das Talent des Sohnes erkannten, wollten sie ihm auf jeden Fall eine „anständige“ klassische Schule zuteil werden lassen.

Doch Benjamin Schatz ist kein Grübler, keiner, der sich nächtelang schlaflos im Bett herumwälzt aus Angst vor der Zukunft oder irgendetwas gewaltsam erzwingen will. Er genießt vielmehr den Augenblick, sei es in der Heimat von Strauß, Mozart und Zawinul, auf der Bühne oder vor einem Notenblatt.
„Ich versuche eigentlich nicht zu denken, beim Spielen wie auch beim Schreiben. Die intellektuelle Herangehensweise an den Jazz lähmt doch unser Bauchgefühl. Am wichtigsten sind mir Melodien. Wenn ich etwas komponiere, dann geht das ausschließlich über die Melodie. Selbst bei einem Solo will ich immer melodisch spielen. Und auf keinen Fall zu viel. Manchmal reduziere ich die Stücke immer weiter.“
Ein subtiler Häutungsprozess, den Schatz am Wiener Konservatorium bei Oliver Kent (Piano) und Andy Middleton (Komposition) sowie in Meisterkursen bei Cedar Walton, Mulgrew Miller, Kenny Werner, Marc Copland und Fred Hersch, einigen seiner größten Vorbilder an den Tasten, lernte. Alle angenehm egofreie Zeitgenossen, extrem zurückgenommen, sympathisch, bescheiden und ganz mit sich im Reinen. Für sie zählt nur die Musik, die Kraft ihrer Wirkung auf die Menschen. Der Typ, der sie mit ihren Fingern möglich macht, ist eigentlich überhaupt nicht wichtig. Benjamin lächelt schweigend. Höchste Zeit, diesen neuen Schatz des deutschen Jazz nach allen Regeln der Kunst zu entdecken.






