John Legend

Der Retter

Er steht zwischen den Stühlen – und fühlt sich pudelwohl dabei: John Roger Stephens alias John Legend arbeitet mit den Größen aus R&B, HipHop und Soul, komponiert Soundtracks für Hollywood-Blockbuster, engagiert sich politisch wie sozial und spielt am liebsten auf Jazzfestivals. Nebenbei hat er ein neues Album aufgenommen, sein erstes seit fünf Jahren. Hochtrabender Anspruch: die Rettung der kränkelnden Black Music.

„Ich bin kein ausgewiesener Jazzer, aber natürlich weiß ich einen Thelonious Monk, Bill Evans, Oscar Peterson, Duke Ellington oder Count Basie zu schätzen. Das sind Meister ihres Fachs, und ich bin eh der Meinung, dass Jazz und Soul gar nicht so weit auseinander liegen.“

John LegendEs ist einer dieser Termine, die den Irrsinn des modernen Musikgeschäfts auf den Punkt bringen: ein kurzfristig anberaumtes Interview im Londoner Hauptquartier seiner Plattenfirma, 600 Euro Flugkosten (last minute) und gerade mal fünf Songs zur Einstimmung. Dabei steht das Veröffentlichungsdatum noch gar nicht fest. „Irgendwann im Juni“, heißt es auf Nachfrage. Wenige Tage später ist es schon Anfang September, was bedeutet: Man hätte sich die hohen Kosten sparen, womöglich noch mehr Songs hören und John im Rahmen der laufenden Europatournee sprechen können.

Doch wer dem 34-Jährigen persönlich gegenübersitzt und ihn auf Timing und Logistik anspricht, merkt schnell, dass er in offenen Wunden bohrt: Der Mann kann offensichtlich nicht so, wie er möchte – was an seinem Brötchengeber liegt: einem gewissen Kanye West, seit den frühen 2000ern Produzent, Co-Autor und Chef der Produktionsgesellschaft GOOD Music, bei der Legend unter Vertrag steht.

„Das Problem ist, ein gemeinsames Zeitfenster zu finden“, setzt er an. „Schließlich designt Kanye für mehrere Modelinien und hat ein neues Album am Start. Insofern ist es nicht leicht, ein paar Tage ungestört mit ihm zu arbeiten. Nur: Ich warte gerne auf ihn. Denn er hat einen großen Einfluss auf das, was ich tue, in Bezug auf die Produktion und die Songauswahl. Da möchte ich ihn nicht missen – selbst, wenn ich warten muss.“

Eine Loyalität, die Legend als etwas anderen Künstler seines Metiers auszeichnet. Eben bodenständig, bescheiden und zurückhaltend statt exzentrisch und egoman.

„Natürlich sind Kanye und ich auch mal anderer Meinung“, schießt er hinterher, „aber im Großen und Ganzen kann ich mich auf seine Meinung verlassen. Er ist jemand, der mich fordert – und inspiriert.“

Mission: Soul

In welcher Form Kanye West ihn inspiriert, verdeutlicht „Love In The Future“ (Columbia/Sony), Legends viertes Soloalbum und das erste seit geschlagenen fünf Jahren. Ein Werk, das zunächst einmal eine Liebeserklärung an seine Verlobte, das Model Chrissy Teigan, ist, auf den zweiten Blick aber noch weitaus mehr Anspruch und Tiefe besitzt. So befindet sich Legend auf einer regelrechten Mission zur Rettung des Souls, der seiner Meinung nach vor dem kreativen Exitus steht.

„In den letzten Jahren wurde er so weit verwässert, dass er viel von seiner Faszination verloren hat. Ich werde hier keine Namen nennen, aber ich selbst beziehe mich auf Altmeister wie Stevie Wonder und Marvin Gaye, aus deren Erbe ich etwas Neues, Frisches machen will – was definitiv nicht leicht ist. Dabei will ich mich nicht auf einen Retro-Sound in bester Motown-Manier beschränken, sondern ich versuche, qualitativ hochwertige Musik zu machen – mit starken Melodien, guten Texten, zeitlosen Arrangements, aber auch einem modernen Touch. Also eine Mischung aus alten und neuen Elementen, die hoffentlich etwas Eigenständiges und Schönes ergibt.“

Ein Ehrgeiz, der sich in Tribal-Drums, rockigen Gitarrensoli, Samples aus Chicago-House-Tracks sowie kämpferischen Lyrics der Marke „it’s the beginning of forever – I keep doing it again“ manifestiert. Da ist Legend tatsächlich der große Erneuerer, der auch politischen Anspruch erkennen lässt. Ähnlich wie auf „Wake Up!“, seiner Kollaboration mit den Roots von 2010, hat er auch hier Momente, in denen er seine amerikanischen wie globalen Mitbürger zu mehr Verantwortung und Zivilcourage aufruft, etwa in „Who Do You Think We Are“, das mit Lethargie, Gleichgültigkeit und Resignation abrechnet.

„Es ist ein Wachrüttler“, lacht Legend. „Die Leute müssen endlich ein bisschen mutiger werden, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen, ihre Meinung zu sagen und dafür zu kämpfen.“

So wie er, der sich lautstark für Umweltschutz, Aids-Forschung und Opfer von Umweltkatastrophen einsetzt, dabei aber nie predigt, sondern immer die Musik sprechen lässt, und das oft im Duett mit berühmten Kollegen aus den unterschiedlichsten Genres wie Juanes, Buju Banton, Nas, Herbie Hancock (für das „Imagine Project“) oder Cassandra Wilson.

All That Jazz

John Legends Jazzaffinität zeigt sich nicht nur in manchen Duett-Partnern, sondern manifestiert sich auch in Auftritten auf Veranstaltungen wie dem North Sea Jazz Festival, dem Festival International de Jazz de Montréal, dem portugiesischen EDPCOOLJAZZ oder dem Nice Jazz Festival: Legend ist dort ein gern gesehener Gast, der den stilistischen Grenzgang sehr genießt.

„Ich werde ständig dazu eingeladen – wie viele andere R&B- und Soul-Künstler auch. Einfach, weil wir die Ticketnachfrage ankurbeln. Das ist jetzt kein Witz, sondern eine Tatsache. Wir sorgen für einen besseren Umsatz. Und seien wir ehrlich: Es gibt Schlimmeres, als bei einem entspannten Festival in der Karibik aufzutreten. Da sage ich nicht nein.“

Zumal es für ihn – wie in Den Haag oder beim Umbria Jazz – auch eine gute Gelegenheit ist, um Klaviervirtuosen wie Chick Corea oder Keith Jarrett beizuwohnen, die er selbstredend bewundert. „Ich bin kein ausgewiesener Jazzer, aber natürlich weiß ich einen Thelonious Monk, Bill Evans, Oscar Peterson, Duke Ellington oder Count Basie zu schätzen. Das sind Meister ihres Fachs, und ich bin eh der Meinung, dass Jazz und Soul gar nicht so weit auseinander liegen. Am College habe ich zum Beispiel in einer Band gespielt, die sich auf Jazz und a cappella konzentriert hat.“

Im Dienste Hollywoods

Legends wahre Leidenschaft scheint aber dem Vertonen von Hollywood-Blockbustern zu gelten. Da hat sich der neunfache Grammy-Preisträger zuletzt richtig ausgetobt – mit Songs für „Coach Carter“, „Hitch“, „Bride Wars“ sowie, sein persönlicher Favorit, Tarantinos „Django Unchained“, zu dem er „Who Did That To You?“ beigesteuert hat:

„Quentin hat es beim Höhepunkt des Films eingesetzt, als Jamie Foxx seine Frau rettet – was eine Riesenehre war. Eine der besten und größten Sachen, die ich je gemacht habe. Dabei arbeite ich wirklich gerne mit Regisseuren und versuche immer, eine Beziehung zwischen der Musik und der Aussage des Films herzustellen. Deshalb habe ich auch gerade meine eigene Produktionsgesellschaft gegründet – Get Lifted. Ich würde gerne noch mehr in dieser Richtung machen. Also zwischen den Jazzfestivals und dem Warten auf Kanye.“

Ein Mann mit Humor – und Vision.

Text
Marcel Anders

Veröffentlicht am unter 100, Feature, Heft

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1 Kommentar zu „John Legend – Der Retter. Der Retter“

  1. wie schön! John Legend ist zurück!!!!! Finde das Lied Made To Love sehr sehr cool!